Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
Vom Netzwerk:
sind.«
    »Was machen Sie denn wirklich?
Mit was erregen Sie denn so einen Ärger?« Ich grinste. Sie war mir sympathisch.
Und ich kannte solche Gerüchtewellen. Beruflich und privat. Wie schnell warfen
Zeugen Fakten und Meinungen durcheinander, ohne sich darüber im Klaren zu sein,
wie beeinflusst von der öffentlichen Wahrnehmung ihre Aussagen waren.
    »Ich bin Schamanin. Genauer
gesagt, Feuer-Schamanin.« Sie hatte sich wieder etwas beruhigt.
    »Und was tun Sie da genau?«,
fragte ich verblüfft. Feuer-Schamanin. Damit hatte ich nicht gerechnet. Vielleicht
war ich ja der Lösung um das Rätsel der Brandstellen im Wald näher, als ich
dachte.
    »Schamanismus ist eine Form
der Spiritualität, die sehr eng mit der Natur verbunden ist. Riten und
Zeremonien haben den Zweck, geistige Helfer der Menschen zu finden und über sie
zu einer ganzheitlichen Heilung zu gelangen.« Michaela Rüttner stellte eine der
Kerzen auf ihre Handfläche und sah mich durch die Flamme hindurch an. Erst
jetzt bemerkte ich, dass nicht einer, sondern neun kleine Dochte in der Kerze
loderten. »Das Feuer, müssen Sie wissen, ist der Ursprung. Der Heilige Geist
wird im Christentum als Flamme dargestellt. In sämtlichen anderen Religionen
finden Sie ebenfalls Darstellungen des Feuers, als Kraftquelle, als reinigendes
Element.«
    »Gehört zu den Riten und
Zeremonien, von denen Sie sprachen, auch das Anzünden von Feuern?«
    »Ja, natürlich.«
    »Wo finden diese …«,
ich zögerte und überlegte, ob es das richtige Wort dafür war, »… diese Rituale
statt?«
    »An Orten, die die richtige
Atmosphäre aufweisen.«
    »Im Wald?«
    »Das wäre schön. Es gibt
viele Orte in unseren Wäldern, die genau richtig wären, aber es ist ja nicht
möglich.«
    »Weil es verboten ist?«,
fragte ich.
    »Weil es verboten ist«,
bestätigte sie.
    »Frau Rüttner. Vor ein paar
Stunden habe ich im Wald vor einer Feuerstelle gestanden, deren Anordnung große
Ähnlichkeit mit den Dochten Ihrer Kerze aufwies. Wie können Sie sich das
erklären?«
    »Gar nicht«, erwiderte sie
überrascht.
    »Sie wissen also nichts
davon?«
    »Ist das jetzt ein Verhör?
Dann können Sie direkt wieder gehen«, beschied sie mich unwillig. »Ich dachte,
Sie wären hier, um mir zu helfen, nicht, um mich anzuklagen. Sie scheinen nicht
besser zu sein als die Dorftratschtanten. Ich habe Ihnen gesagt, ich weiß
nichts von Waldfeuern, und das muss reichen.«
    Ich erhob mich. Ursprünglich
hatte ich vorgehabt, ihr von der anonymen Mail zu erzählen, in der sie des
Satanismus bezichtigt wurde, aber ich entschied mich dagegen. So sympathisch
sie war, ihre letzte Reaktion irritierte mich. War ihr vehementer Ton nur ihrem
Beruf als Lehrerin zu verdanken, oder steckte mehr dahinter? »Ich gehe jetzt
wohl besser.«
    Sie verknotete fahrig ihre
Finger ineinander. Silberne Ringe blitzten im Schein der Kerzen auf, Ringe mit
dunklen Steinen. »Bitte bleiben Sie sitzen, Frau Weinz. Ich bin wohl etwas
empfindlich geworden in Bezug auf vage Verdächtigungen.«
    »Das kann ich, nach dem, was
Sie mir erzählt haben, nachvollziehen.«
    »An das Gerede hier im Ort
hab ich mich gewöhnt. Es ist nie zu tatsächlichen Übergriffen gekommen. Aber
seit Kurzem beschweren sich Eltern anonym bei der Schulleitung, ich sei kein
Vorbild und würde meine Arbeit deswegen nicht richtig machen können. Das geht
einem dann schon an die Substanz. Und nicht zuletzt an die berufliche
Existenz.«
    »Die Schulleitung geht auf
anonyme Beschwerden ein?«
    »Nein. Natürlich nicht.
Trotzdem ist es gesagt und in den Köpfen. Und wer weiß, was noch passiert.«

FÜNF
    Das Wasser läuft in einem kleinen Rinnsal an der Wand entlang, folgt seiner
eigenen rostigen Spur, teilt sich und versickert zwischen den Pflastersteinen.
Eine Ratte presst sich an die Kante, die den Gehsteig von der Straße abgrenzt,
sucht Deckung, trippelt vor und zurück, wittert. Ihre schwarzen Augen glänzen.
Wie die kleinen Lackknöpfe von Vaters Hochzeitsanzug, den Paul, nachdem die
Mutter ihn geändert hatte, zu seiner Firmung getragen hat. Viel hatte sie nicht
anpassen müssen, Paul ist beinahe so groß wie sein Vater, hat eine ähnliche
Statur, kräftige Schultern, lange, schmale Gliedmaßen. Stattlich, so nennt die
Mutter ihn mit einem gewissen Stolz in der Stimme und einer unbestimmten
Trauer, wenn sie vom Vater spricht, den der Sohn nun ersetzen soll. Wegen mir
geraten sie ins Elend, denkt Paul und tritt nach der Ratte. Das Tier faucht und
bleckt die Zähne,

Weitere Kostenlose Bücher