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Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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auf.
Löhbach. Es scheint, als ob er wüsste, wohin seine Beute geflohen ist.
Zielsicher folgt er dem Pfad, den Ludwig vor wenigen Minuten eingeschlagen hat.
Er ist gefährlich. Löhbach hat es als Ludwigs Schuld angesehen, dass er beim
Direktor in Ungnade gefallen ist. Seitdem sucht er Ludwigs Fehler und schlägt
gnadenlos zu. Will Rache.
    Pauls
Herz hämmert im Rhythmus der Schritte, mit denen der Meister die Wiese
überquert. Ohne nachzudenken, rennt er aus dem Saal, im Nachthemd und mit
nackten Füßen, die Treppe hinunter und an die Haupttür, die, an allen
Schlössern entriegelt, einen Spaltbreit offen steht, und schlängelt sich
hindurch. Die Wiese ist kalt und nass unter seinen Sohlen, die Feuchtigkeit
setzt sich im dicken Stoff seines Nachthemdes fest, lässt es an seinen Beinen
kleben und ihn beinahe stolpern. Aber er rennt weiter, Löhbach hinterher,
Ludwig hinterher, zu Frieda. Sein Atem peitscht. Er keucht, hält inne und
presst die Hände in die stechenden Schmerzen an seiner Seite. Er ringt nach
Luft, richtet sich wieder auf. Weiter. Den Verfolger einholen, ohne dass der es
bemerkt. Je näher er kommt, umso leiser bewegt er sich. Duckt sich. Hofft auf
den Jagdtrieb des anderen, der diesen nicht daran denken lässt, selbst zur
Beute zu werden. Und wenn doch, wenn Löhbach ihn doch entdeckt, wird er ihm
sagen, er habe ihn für einen Flüchtigen gehalten und nur seine Pflicht getan.
    Als er
den Waldrand erreicht hat und den schmalen Pfad erkennt, der zur Lichtung
führt, hat er sich bis auf wenige Schritte genähert. Ein Lachen hallt durch die
Stille. Frieda. Glücklich. Löhbach verharrt und horcht, geht weiter, schiebt
mit beiden Armen die Äste zur Seite, die ihm den Weg versperren, und lässt sie
hinter sich zurückschnellen. Paul fängt sie mit seinen Unterarmen auf. Wie
Peitschenhiebe hinterlassen sie blutige Striemen auf seiner Haut, aber er weiß,
sie sind nichts gegen die Schläge mit den Schwarzdornruten, die ihn und Ludwig
erwarten. Und Frieda? Werden sie sie auch schlagen? Sie werden sie aus dem Haus
jagen, ein gefallenes Mädchen, ohne Zukunft und ohne die Aussicht, jemals eine
ehrbare Frau im Dorf zu sein. Auch für solche gibt es Heime. Bei den Nonnen.
Das will er nicht für sie.
    Er
lauscht, während er geht, kann aber außer Löhbachs dröhnenden Schritten im
raschelnden Laub nichts hören. Die Lichtung ist nur noch wenige Meter entfernt.
Löhbach bleibt stehen, zögert. Hat er ihn entdeckt? Paul springt zur Seite,
durch ein Gebüsch und wirft sich hinter einem umgestürzten Baumstamm auf den
Boden. Als er wieder aufschaut, ist Löhbach ein Stück weitergegangen. Beide
haben jetzt durch die entlaubten Sträucher freien Blick auf die Waldlichtung.
Es dauert einen Moment, bis Paul das Bild erkennt, bis er Menschen und Natur
unterscheiden kann. Ludwig sitzt an einen Baumstamm gelehnt, der so breit ist,
dass Paul von seiner Position aus nur seine Arme in den weiten Hemdsärmeln
sieht, die sich wie Flügel ausbreiten, schließen und schließlich links und
rechts zu Boden fallen. Auf der Höhe, wo Ludwigs Kopf sein muss, kriechen Hände
um den Stamm, helle, schmale Frauenhände. Friedas Hände. Sie krallen sich in
die Rinde, spreizen sich und suchen wieder Halt. Ihre Arme, ihre Schultern
bewegen sich auf und ab. Paul kann ihr Gesicht und ihren Körper nicht sehen,
nur eine dichte Strähne ihres Haares, die sich aus dem Knoten, den sie sonst
streng gebunden trägt, gelöst haben muss und die über ihre Schulter fällt. Der
Rhythmus wird schneller, fordernd. Paul hört einen tiefen Laut aus Ludwigs
Kehle. Ein Knurren. Ächzen. Dann versinken sie ineinander, klammern sich
aneinander und schließen die Welt um sich herum aus. Sie bauen einen Kokon um
sich, den auch Löhbach zu spüren scheint, denn er steht reglos an seiner
Position und starrt mit offenem Mund auf das Schauspiel. Paul zieht die Knie
unter seinen Leib und krümmt sich zusammen, die Eifersucht wird zu einem
dichten Schmerz in der Mitte seines Körpers. Dann stöhnt Frieda, und es ist,
als ob dieses Geräusch die schützende Hülle zerplatzen lässt, sie allem
preisgibt.
    »Ehrenscheid!«
Löhbachs heisere Stimme sprengt das Paar auseinander. Wut und Entrüstung liegen
darin. Frieda will aufstehen, stolpert über ihren Rock, den sie um die Beine
gerafft hat, und fasst sich in die aufgelösten Haare. Ludwig stopft hastig sein
Hemd in den Hosenbund, stützt sich mit der rechten Hand am Baumstamm ab und
arbeitet sich hoch. Mit hängenden

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