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Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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Armen und heißen Gesichtern starren sie auf
Löhbach. Entsetzen in den Augen. Gehetztes Wild.
    Paul kann
wieder atmen. Sie haben ihn noch nicht gesehen. Als er aufsteht, streift seine
Hand einen Ast, dick und schwer. Er umklammert ihn, trägt ihn wie einen Schatz
an die Brust gedrückt, während er sich von hinten an Löhbach anschleicht, der
Drohungen und Gottesflüche gegen die beiden ausstößt. Ludwig reißt sich von
Frieda los. Er rennt auf Löhbach zu, die Fäuste hocherhoben. Ein Berserker.
Paul macht einen Satz nach vorne und weiß nicht, ob das Knacken vom Brechen des
Astes oder vom Bersten der Schädelknochen stammt. Er sieht nur, wie Löhbach
lautlos zu Boden fällt und den Blick freigibt auf Frieda und Ludwig. Der Ast
entgleitet seinen Händen. Die drei sehen sich an. Stumm. Der Wald atmet.
    ***
    Dieses Geständnis so
unumwunden aus ihrem Mund zu hören, brachte in meinem Inneren einen Knoten zum
Platzen. Er zerbarst in viele kleine Teile, die sich verschoben, anordneten,
zueinanderfanden.
    »Er hat mir Schmerzen
zugefügt«, hatte sie gesagt. Sie hatte die Kraft gefunden, sich gegen ihn zu
wehren.
    Fragen drängten an die
Oberfläche, nach Notwehr, nach seinem Angriff, auf den sie endlich mit
Verteidigung reagiert hatte, nach einem Unfall, der es gewesen sein konnte.
Keine davon stellte ich. Nichts davon kam über meine Lippen. Nur ein leises
»Wie?«.
    »Er muss gestolpert und
gefallen sein. Ich habe ihn gefunden. Er lag auf dem Boden, auf seiner Stirn
war eine Wunde. Er war bewusstlos. Beim Umstürzen sind die Werkzeuge aus dem
Regal gefallen. Eine Axt und ein Hammer. Ich habe den Hammer genommen und damit
zugeschlagen.«
    Stille.
    Durch die Ritzen zwischen
den Steinen drang Licht und markierte die Spitze des Geröllhaufens mit einem
hellen Kranz. Das Rauschen in meinen Ohren schien von außen in den Stollen zu
dringen. Regen.
    »Sandra. Ich werde jetzt
versuchen, einen Ausgang zu graben. Du brauchst auf dem schnellsten Weg Hilfe.
Alles andere ist jetzt unwichtig.« Ich stand auf und streckte meine Knie gegen
die Steifheit.
    »Das war nicht alles, Ina.
Bleib.« Sie hustete wieder. Mehr Blut rann aus ihrem Mund. »Ich …«
    »Sandra, wir schaffen das.«
    »Henrike ist …«
    »Sandra! Hast du mit ihr
gesprochen? Weißt du, wo sie ist?«
    »Sie weiß, wer Arno
umgebracht hat. Sie durfte nichts …« Ihre Lider sanken herab, und ihre
Stimmer erstarb. Ich fiel neben ihr auf die Knie und verharrte sekundenlang in
Fassungslosigkeit, bis die Bilder in meinem Kopf Gestalt annahmen. Henrike. Ihre
Miene, bleich und blutüberströmt. Kalte Haut. Ihre leeren Augen. Ich packte
Sandra an der Schulter, schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht.
    »Was? Was hast du mit
Henrike gemacht?« Meine Muskeln gaben nach. Das Flimmern war wieder da. Was
hatte sie ihr angetan? Lebte Henrike noch? »Sandra!«, schrie ich, rüttelte an
ihren Schultern, ohne auf ihre Verletzungen Rücksicht zu nehmen. Sie blieb
still. Aber sie atmete noch. Ich legte mein Ohr auf ihren Brustkorb, lauschte.
Tief in ihrem Inneren rasselte es. Sie starb.
    Ich musste hier raus. Was
hatte sie mit Henrike gemacht? Hatte sie sie in dieselbe Kiste gesperrt, in die
Arno Luisa gesteckt hatte? In der Luisa beinahe ertrunken war? Der Regen
prasselte unaufhörlich vor dem Stollen. Mir wurde eiskalt. Die Urft führte
Hochwasser.
    »Henrike!« Die Steine
glitten unter meinen Sohlen weg, rutschten und ließen mich den Halt verlieren,
als ich den Geröllberg hinaufkletterte. Weit vorgebeugt griff ich nach allem,
was sich vor mir auftürmte, riss, zog, zerrte. Steine rutschten,
Schieferplatten lösten sich. Der Spalt verbreiterte sich. Mein Herz raste,
meine blutigen Fingerspitzen brannten. Unter mir bewegte sich etwas. Es
knackte. Knirschte. Berstende Knochen eines Riesen. Dann löste sich alles,
glitt und rutschte. Eine Steinlawine, die mich nach unten riss.
    ***
    Der Beamte hatte sie von
dem Auto aus über den Parkplatz geführt. Die wenigen Stufen zum Eingang hinauf,
vorbei an einem Raum, in dem hinter einer hohen Theke ein Polizist in Uniform
Dienst tat. Der hatte kurz aufgeschaut und die Hand zum Gruß gehoben. Mehr
nicht. Ein kurzer Blick zu ihr. Abschätzend.
    »Du kannst in den
Besprechungsraum mit ihr.«
    »Danke.« Der Beamte hatte
ihr die Tür aufgehalten, doch die Geste hatte nichts Zuvorkommendes gehabt. Sie
wirkte eher kontrollierend. Du bist meine Beute. Ich habe dich gefangen und
weise dir jetzt den Weg. Eine weitere Treppe. Im rechten Winkel.

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