Eigentlich bin ich eine Traumfrau
unglücklich aus. Das wollte ich nun auch wieder nicht. Trotzdem kann ich danach gar nicht mehr damit aufhören, meine ehrlichen Gedanken in alle Korridore zu streuen. Ich spreche sogar noch den Leiter des Wirtschaftsressorts auf seine Krawattennadeln an und frage Picard, ob er meinen Text ebenso ausgewogen proportioniert fände wie den Hintern der Sekretärin, den er gerade angestarrt hat.
Eins muss man Picard lassen: Er ist der Einzige, der meinen verbalen Amoklauf mit schallendem Gelächter zur Kenntnis nimmt. Wesentlich unsouveräner reagiert der Computerheini, als ich ihm sage, dass ich mir nicht sicher sei, ob er nicht doch eher an einem Morbus Kobold als an Morbus Bechterew leide. Das ist laut Wikipedia der Fachbegriff für Penisverletzungen, die bei der Masturbation mit Staubsaugern entstehen â benannt nach einem besonders beliebten Handstaubsauger. Aber das soll er ruhig selbst nachschlagen.
An irgendeinem Punkt muss meine neu gefundene Offenheit in Dummdreistigkeit umgeschlagen sein, stelle ich im Nachhinein bedauernd fest. Aber wer etwas Neues ausprobiert, ist wohl immer etwas übertrieben euphorisch â und schieÃt dabei auch mal über das Ziel hinaus. Ich nehme mir vor, ein gesundes Mittelmaà anzupeilen, wenn man mir an
diesem Arbeitsplatz überhaupt noch die Gelegenheit dazu gibt.
I m Supermarkt, während ich versuche mich zwischen dem Leichte-Linie-Pangasiusfilet aus der Dose und dem Tiefkühl-Brigitte-Diät-Wokgemüse zu entscheiden, beschleicht mich die Ahnung, dass ich vielleicht eine völlig falsche Form der Ehrlichkeit gewählt habe: Die der überflüssigen Ehrlichkeit, die keinen weiterbringt. Aber wann ist die Ehrlichkeit denn überhaupt von Nutzen? Ich meine, was hilft es denn jemandem zu wissen, was ich von ihm denke, ob mir meine Arbeit Spaà macht oder welche Stellung ich bevorzuge? Rein gar nichts. Vielleicht wird die Sache mit der Ehrlichkeit total überbewertet. Warum hat mir Peter bloà dieses doofe Buch geschenkt?
Naja, zumindest zu mir selbst will ich ehrlich sein: Ich lasse es nicht zu, dass mein Appetit mir einredet, dass die Pizza »Vier Jahreszeiten« weniger Kalorien haben könnte, als ein Salat aus frischem Biogemüse. Nein, ich kaufe Paprika und Gurken und dazu noch einen Smoothie, der zu mehr als 50 Prozent aus passierten Früchten besteht, ohne Konzentrate. Einkaufen ist so nervtötend. Spätestens als ich noch schnell zu einer neuen Wimperntusche greifen will, weià ich nicht weiter. Ich bin noch nicht richtig mit dem Thema durch, ob nun unbedingt alles Bio sein muss. Soll ich Wimperntusche kaufen, die keinen Schwung bringt und nicht richtig schwarz färbt, aber dafür hauptsächlich aus Mineralien und einer Pflanze namens Augentrost besteht? Oder doch lieber
die High-Tech-Carbon-Black-Mascara, die aber langfristig vermutlich zur Netzhautablösung führt? Ich entscheide mich, auf kurze Sicht zu denken. In zwei Wochen treffe ich Rafael, und da will ich ihn mit perfekt geschwungenen schwarzen Chemie-Divenwimpern anklimpern.
T oni ist schon da, als ich im Weinstein eintrudele. Um etwas Zeit zu überbrücken und sie nicht gleich mit Fragen nach ihrem Befinden zu überrollen, erzähle ihr von meiner Entscheidungsschwäche beim Einkaufen: »Ich meine, ich stand bestimmt eine Stunde in dem Laden, und dabei rausgekommen sind nur pechschwarze Wimpern und ein Biosalat.«
»Ich glaube den ganzen Kram sowieso nicht. Wo soll denn das ganze Biogemüse angebaut werden, das jetzt die Supermärkte überfüllt? Und die ganzen bei Vollmond gepflückten Blümchen in der Naturkosmetik bewirken doch gar nichts.«
»Also entweder anständig, aber funktionslos, oder fies, aber wirksam? Was ist das denn für eine Wahl?«, will ich enttäuscht wissen.
Toni kichert: »Wieso überrascht dich das? Der gleichen Wahl stellen wir uns bei Männern doch ständig.«
Darüber muss ich erst mal nachdenken. Die Männer in Bio und Chemie zu unterteilen â der Einfall ist mir noch gar nicht gekommen. Nicht schlecht. Toni sieht plötzlich ganz ernst aus. Da fällt mir meine Mission wieder ein. »Sag mal, Toni, irgendetwas stimmt nicht. Du siehst in letzter Zeit immer so traurig aus.«
Da wird Tonis Miene gleich noch ernster. Ich gerate in Panik. Warum habe ich nicht gewartet, bis unser philosophischer Berater auftaucht? Was, wenn Toni schwerkrank
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