Eigentlich bin ich eine Traumfrau
Demütigungen für
die einen und anhaltender Langeweile für die anderen. Und Herr Pfeiffer, ich finde es abartig, dass Sie Krawattennadeln mit Donald-Duck-Motiv tragen. Herr Schumacher, kurzärmelige Hemden mit Krawatten sind bei Männern das Letzte, und, Herr Picard, ich sehe immer genau, wie Sie meiner Freundin Toni auf den Hintern starren, aber die würde auch nichts mit Ihnen anfangen, wenn Sie der letzte Mann auf der Welt wären«, könnte ich beispielsweise sagen.
Stattdessen rattere ich mechanisch runter: »Schöne Lesegeschichte auf der Sechs.«
Wir alle blättern ebenso mechanisch weiter zur erwähnten Seite. Zu meinem Entsetzen ist die Ãberschrift der schönen Lesegeschichte an diesem Tag: »Wohnst du noch, oder lebst du schon?« Es ist der Titel einer ganzseitigen IKEA -Reklame. Wo zur Hölle ist die Reportage?
Da höre ich, wie Picard anfängt zu glucksen. Einen Vorzug hat PaPi ja, er ist ein noch besserer Rudelführer als Pfeiffer. Alle folgen seinem Beispiel und kichern.
Erleichtert rede ich mir ein, dass sie davon ausgehen, dass ich mehr differenzierten Humor besitze, als mein linkisches Auftreten vermuten lässt. Schnell schiebe ich hinterher: »Auch auf der Sieben eine spannende Geschichte. Da sollte man noch mal was nachdrehen.« Die Geschichte handelt von unserem Exkanzler Helmut »Birne« Kohl. Ich weià aus verschiedenen Tratschblättern, dass es dem rundlichen Pfälzer derzeit nicht besonders gut geht. Vielleicht überfordert ihn ja seine vierunddreiÃig Jahre jüngere Ehefrau, die angeblich nur allzu gerne die alten Lodenjanker seiner verstorbenen ersten Frau aufträgt. »Ich sehe schon Gespenster«, hat ein Boulevardblatt getitelt. Unsere Tageszeitung
ist natürlich seriöser: »Der Fall der Birne« steht über dem Artikel, den ich nachher tatsächlich noch ausführlich lesen werde. Sobald Politiker menschlich werden, kann ich ihnen etwas abgewinnen.
»Aber man hätte noch ein Foto dazustellen und dem Thema ein bisschen mehr Platz gönnen können. Ein bisschen Unterhaltung zur Auflockerung zwischendurch hilft dem Leser auch, all die anderen, groÃen, unverzichtbaren Themen besser zu verarbeiten«, verteidige ich â für meine Verhältnisse tapfer â meine Liebe zum Trivialen.
Es knistert. Ich lasse meine Zeitung sinken, nacheinander folgen alle meinem Beispiel. Die Jungs starren mich an. Diesmal begnügen sie sich nicht damit, ein wenig zu kichern. Es erklingt ein Gewieher wie in einem Pferdestall voller Rösser, denen man Koks statt Hafer verabreicht hat. »Ich wusste gar nicht, dass Sie so mit Fallobst sympathisieren«, gluckst Dr. Pfeiffer, »vielleicht könnten wir es hungernden Afrikanern schicken, und Sie begleiten die Reise auf Firmenkosten. Wäre das ein Nachdreh in Ihrem Sinn?«
Ich lese schnell den ersten Satz des eigentlichen Textes. Es geht gar nicht um die »Birne«, sondern um Ãpfel und Birnen â nur ist für beide wohl kein Platz in der Titelzeile gewesen. Es ist aber auch ein Kreuz mit diesen lieblos hingepfuschten Ãberschriften, bei denen die Redakteure nur darauf achten, dass sie irgendwie den Platz ausfüllen. Wie soll ich so auf einen Blick erkennen, dass sich hinter ihnen nicht munterer Tratsch, sondern handfeste Skandale verbergen: In Zeiten der Rezession und steigender Lebensmittelpreise fällt in den Kleingärten das Obst einfach vom Baum, und keiner interessiert sich dafür, es zu ernten, erfahre
ich im Vorspann. Ich würde mich gerne auf der Stelle in einen winzigen Wurm verwandeln und mich in einer der fauligen Stellen des gefallenen Apfels verkriechen, für den sich keiner interessiert.
»Mehr ist mir nicht aufgefallen«, beende ich stattdessen lahm die Vorstellung. Ich schwitze noch eine halbe Stunde später, während die anderen ungerührt und gewohnt langatmig ihre Themen des Tages vortragen.
»Klasse gemacht«, lobt mich Picard hinterher. »Ein bisschen Humor können wir alten Säcke gut gebrauchen.«
Die Anmerkung ist ja eigentlich mal ganz nett von ihm, verstärkt meine Röte aber nur noch. Was bin ich für eine Niete, wenn selbst ein Picard mich so in Verlegenheit bringen kann? Schrecklich. Ich verkrieche mich schnell an meinem Rechner und rufe nur zum Trost und auch nur ganz kurz eBay.de auf. Ich muss unbedingt eine Portion Drachenblut ersteigern. Das ist
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