Eigentlich bin ich eine Traumfrau
nur so wenig Selbstvertrauen? An einem frühkindlichen Trauma oder einem Vaterproblem kann es jedenfalls schon mal nicht liegen. Auf diese Frage weià selbst der philosophische Berater keine Antwort, deswegen bringt er seinen Standardkommentar: »Aber im Zweifelsfall kommt es ja darauf an, die richtigen Fragen zu stellen.«
W oher soll ich nur wissen, wie die richtigen Fragen lauten?
Ich verbringe die folgenden Tage wechselweise todtraurig auf dem Sofa oder apathisch in der Redaktion. Bei der Arbeit ignoriere ich die zugegebenermaÃen dezenten Liebesbekundungen zwischen PaPi und Toni sowie die weniger
dezente Beweisführung einer glücklichen Langzeitbeziehung seitens Anna und Klaus. Zuhause durchforste ich die kleine, ausgesuchte Reihe mit Klassik-CDs in meinem Regal und finde, was ich gesucht habe: Requiems in verschiedenen Ausführungen. Offenbar haben sowohl Verdi, Mozart als auch Brahms zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben so gelitten wie ich. Ach, es tut einfach so gut, noch mal nachzutreten, wenn man ohnehin schon am Boden liegt. Lieber sich einmal den vollen Schmerz geben, als dauerhaft halbherzig vegetieren. Ich habe auch keine Lust, die anderen zu treffen. Die sind alle Teil eines Paares. AuÃerdem habe ich keine Lust, mir anzuhören, dass eine so kurze Beziehung keine so intensive Trauer rechtfertige. Was wissen die schon?
Ich zünde mit langen Streichhölzern zahllose weiÃe Stabkerzen an. Später bedecke ich auf dem Sofa liegend mit dem Handrücken meine vom Heulen brennenden Augen. Ich denke an den armen Mozart, der so jung sterben musste (gesehen in »Amadeus«). An den armen Verdi, über den ich eigentlich nichts weià (gibt es einen Film über Verdi?), dem aber sicher auch Schlimmes widerfuhr. Und an den armen Brahms, der nicht nur bei seiner Clara keine Chance hatte, sondern auch noch zu einem ewigen Leben als Alien auf einem einsamen Planeten verdammt ist (Star-Trek-Folge: »Requiem für Methusalem«).
Das Telefonklingeln reiÃt mich aus meiner qualvollen Versenkung. Es ist Tanja. »Was hörst du denn da im Hintergrund?«
»Brahms«, sage ich knapp. Es ist mir peinlich, bei der Inszenierung meines Leidens ertappt zu werden.
»Spinnst du, der Mann hat süÃe kleine Katzen gefoltert.« Tanja klingt sauer.
»Quatsch«, sage ich.
Es stellt sich heraus, dass Tanja bei einem Besuch auf einer Veganerseite im Internet einen Aufruf zum Boykott von Brahms-Symphonien gefunden hat: Angeblich tötete Brahms gerne Katzen â mit Pfeil und Bogen, durch das Fenster seiner Wohnung. Dann soll er die Tiere an einer Angelleine in sein Zimmer gezogen haben, um ihren Todesjammer in seine Musik einzuarbeiten.
»Das ist ja ekelhaft«, sage ich schockiert.
»Ja, eigentlich wollte ich dich aber nur fragen, ob du nicht doch heute Abend mit uns ins Weinstein kommen möchtest?«
»Ach nö. Mir ist heute nicht danach wegzugehen.«
»Aber ja wohl nicht wegen diesem Idioten?«
»Man wird ja wohl mal einen Freitagabend zuhause verbringen dürfen«, fahre ich sie an, was sehr kindisch von mir ist. Sie verabschiedet sich dementsprechend knapp. Ich stelle den CD-Player aus. Das Todesgejammer von Katzen ist selbst für meine Zwecke zu deprimierend. Andererseits, wie sehr kann man sich auf Aussagen von Veganern verlassen? Ich rufe sofort Toni an, die mal ein paar Semester Musikwissenschaft studiert hat.
»Quatsch«, stöhnt sie. »Dass der Unsinn überhaupt noch verbreitet wird. Das bösartige Gerücht wurde von Wagner in die Welt gesetzt. Da ist überhaupt nichts dran. Das haben Experten längst nachgewiesen.«
Hoffentlich nicht solche Experten, wie man sie immer im Fernsehen sieht: Adelsexperten, Society-Experten und
dubiose Psychologie-Experten. Man fragt sich unwillkürlich, ob man nicht selbst in der Talkrunde sitzen könnte, um Promis auseinanderzunehmen. Zumindest kann man da sicher ordentlich Kohle verdienen.
»Andererseits ist es kein Wunder, dass sich Veganer auf Wagner berufen. Der war doch am Ende total tierschutzverrückt. Von wegen Fleischverzicht führe zu einem höheren moralischen Dasein. Aber wahrscheinlich wissen die Veganer nicht, dass er selbst nie einer von ihnen geworden ist. Der hat nur senil gequatscht«, kichert Toni.
»Wagner! Dann istâs ja gut«, sage ich nun doch ernsthaft erleichtert, »den darf man ja sowieso nicht
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