Eigentlich bin ich eine Traumfrau
»authentisch«. Ich schweige, weil ich ihr die Freude nicht verderben möchte. Insgeheim glaube ich aber, dass die Band â ebenso wie die Maya-Schnitzereien, die man hier überall kaufen kann â »Made in China« ist. So sehr kann kein echter Mexikaner dem Klischee ähneln: ein wenig dicklich, Ponchos, dicker Schnurrbart und Sombreros auf dem Kopf.
»So einen möchte ich auch«, sagt sie mit vergnügtem Lachen und deutet so beharrlich auf die Kopfbedeckung des Trompeters, dass der Sänger sie ihm vom Kopf reiÃt und mit einer übertrieben charmanten Geste meiner Mutter aufsetzt.
Die Jungs, die uns am Büfett schon begrüÃt haben, prosten uns begeistert zu. Wenn ich meine Mutter nachher mit den Typen beim Kiffen oder so erwische, drehe ich durch und werde ihr hinterher nie verraten, wer dem Polizisten den entscheidenden Tipp gegeben hat, der sie für die nächsten dreiÃig Jahre hinter Gitter bringt.
»Ich glaube, wir sollten gleich mal Papa anrufen. Wir haben seit drei Tagen nichts von uns hören lassen«, gebe ich zu bedenken.
Meine Mutter blinzelt kurz irritiert und reicht dann dem Trompeter seinen Hut zurück. Endlich trotten die Musiker von dannen. Sie guckt auf die Uhr, dann kichert sie.
»Jetzt wohl eher nicht, der muss jetzt in seinem Büro sitzen und arbeiten. Aber ich suche ihm morgen noch eine schöne Postkarte aus. Vielleicht kaufe ich ihm auch noch eine kleine Maya-Statue, die sein Arbeitszimmer ein wenig aufpeppt.«
Sie gähnt.
»Warum bin ich nur plötzlich so müde? Ich glaube, ich muss gleich schlafen.«
Ich habe da so eine Theorie: zu viel Sonne, zu viel Tequila, zu viel Wasserball.
»Aber lass dir den Spaà nicht verderben. Feier doch noch ein bisschen«, sagt sie, tätschelt mir beim Aufstehen die Hand und lässt mich mal wieder sitzen. Na gut, dann kann
ich immerhin schon mal für zukünftige Urlaube trainieren, in denen ich wohl allein verreisen werde. Am Büfett nehme ich mir trotzig noch eine groÃe Portion Mandelpudding. Und als mir der Kellner dazu noch ein Glas Wein reicht, fühle ich mich gar nicht mal so mies. Ich habe mindestens eine Stunde lang nicht an Alexander gedacht. Und ich bin in Mexiko, auch wenn ich mir die Reise etwas anders ausgemalt hatte. Caramba!
A ls ich am nächsten Morgen an die Tür meiner Mutter klopfe, um sie zum Frühstück abzuholen, höre ich erst mal gar nichts, dann ein paar ächzende Geräusche, und schlieÃlich steht sie ungewaschen im zerknitterten Bademantel vor mir.
»Mir ist so schlecht«, sagt sie und läuft direkt wieder ins Badezimmer. Als sie wieder rauskommt, sieht sie so bleich aus, dass es mir ein wenig das Herz zusammenzieht.
»Montezumas Rache«, seufzt sie. »Das ganze Obst. Ich habe mich nicht an die Regel gehalten. Kochen, schälen oder lassen.«
Ich habe ja immer noch eher ihre Flüssignahrung in Verdacht.
»Brauchst du irgendetwas, soll ich dir etwas bringen, Mama? Wir können uns ja heute mal einen ruhigen Tag vor dem Fernseher machen.«
SchlieÃlich ist sie auf ihre Art ja auch für mich da gewesen, als ich liebeskrank vor mich hin vegetierte.
»Wenn du mir ein paar Flaschen Wasser besorgen könntest,
wäre das prima. Aber danach machst du dir ohne mich einen schönen Tag. Ich will nicht, dass du den ganzen Tag im Hotel sitzt.«
S o richtig weià ich gar nicht, was ich mit mir anfangen soll, deswegen laufe ich die palmenumsäumte Allee zwischen den Diskotheken, Hotels und Souvenirläden rauf und runter. Hier trifft man zwar auch Nachkommen der Mayas, die vage daran erinnern, dass es irgendwo in Mexiko wohl auch so etwas wie eine Kultur gibt, die nichts mit Tequila zu tun hat. Aber die scheinen eher widerwillig die unangenehme Aufgabe zu erfüllen, sich selbst mit Webteppichen und Schnitzereien als touristische Attraktion parodieren zu müssen.
Dennoch bringen mich ihr Anblick und ein Aushang an einem Kiosk auf die erste vernünftige Idee seit langem. Ich buche eine Bustour zu den Maya-Tempeln in Yucatán. Irgendetwas auÃer Strand, Pool und StraÃenzügen voller Touri-Läden muss ich gesehen haben. Mein lang gehegter Traum von einer Mexikoreise sah schlieÃlich keinen öden Hotelaufenthalt vor, sondern einen abenteuerlichen Rucksacktrip. Ich hatte in den letzten Tagen schon ganz vergessen, dass Mexiko viel mehr ist als eine
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