Eigentlich bin ich eine Traumfrau
lassen. Erkenntnis zur Halbzeit meines Aufenthalts: Wenn man sich sehr nahe ans Wasser setzt, kann man sogar die hässlichen Hotelbauten und die anderen Badelustigen ausblenden. Meine Mutter bleibt lieber am Hotelpool. Angeblich weil sie gehört hat, dass in der Lagune auch Krokodile herumschwimmen. Ich habe noch kein einziges gesehen. Ich glaube, sie war einfach nur von der Idee der Swim-up-Bar begeistert. Da steht ein Haufen Verwirrter im bauchnabelhohen Wasser um einen Tresen herum, der sich ebenfalls nur knapp über der Wasseroberfläche befindet. Man erkennt die Swim-up-Bar-Gänger abends am Büfett am Oberkörpersonnenbrand und den aufgeweichten bleichen Beinen in den Shorts.
Leider muss ich sagen, dass sich Cancún in den vergangenen Tagen als eine Art karibischer Ballermann entpuppt hat. Die Strände sind weiÃer, die Palmen üppiger und das Wasser türkiser â aber die Besucher sind die meiste Zeit genauso betrunken und laut. Nur dass es sich um junge Amerikaner handelt, die es auskosten, dass sie hier auch schon unter einundzwanzig Jahren an Hochprozentiges kommen. Natürlich können sie damit überhaupt nicht umgehen. Deswegen stehen in den Hotels jede Menge Wachleute herum, die junge Randalierer einfangen, wenn die es mal wieder wilder treiben, als es Deutsche und Engländer zusammen auf Mallorca jemals könnten. Für 75 Dollar kann man für 30 Minuten mit Haien schwimmen, verrät mir ein Schild. Ich beschlieÃe lieber ohne Haie zu schwimmen und meine Mutter am Pool zu besuchen. Irgendjemand muss ja auf sie aufpassen.
An der Swim-up-Bar ist die Hölle los. Rafael hatte in einem Punkt doch Recht. Irgendwo auf der Welt ist immer Happy Hour: Ein blondierter Haufen Mädchen hat sich auf dem Tresen versammelt, um einen spontanen Wet-T-Shirt-Contest zu veranstalten â mit Erdbeer-Daiquiri. Sieht aber wenig verführerisch aus, wie ihnen die rote Flüssigkeit über die weiÃen Oberteile, in manchen Fällen über die schon ganz entblöÃten Brüste läuft. Das Ganze erinnert mich eher an die Szene aus einem Horrorfilm â nachdem der Schlitzer die Teenie-Party aufgemischt hat. Mit glasigen Augen kichern sie in Zeitverzögerung, als die Jungs versuchen, ein wenig der Flüssigkeit aus ihren Bauchnabeln zu saugen.
Besorgt halte ich nach meiner Mutter Ausschau. Aber das scheint sogar für ihren Geschmack zu viel Trubel zu sein.
Sie presst ihren Rücken an den Beckenrand und hält mit Paddelbewegungen ihre Beine über Wasser. Neben ihr steht ein Typ, der sicher keinen Tag älter als zwanzig ist. Er zeichnet gerade mit seinem Zeigefinger die Kontur ihres Halskettchens nach. Als ich näher komme, ahne ich bereits nach einem kurzen Blick in das Gesicht des Jungen, was als Nächstes passieren wird. Er erstarrt mitten in der Bewegung und wird leichenblass. Dann senkt er seinen Kopf und übergibt sich direkt vor meiner Mutter ins Wasser. Lauter hätte sie auch nicht kreischen können, wenn sie in der Lagune auf ein Krokodil getroffen wäre. Es ist so ekelig, dass ich wegsehen muss, um nicht dem Beispiel des Besoffenen zu folgen. »Komm, Mama«, rufe ich ihr mit immer noch abgewendetem Blick zu, »wir gehen.«
A ls wir uns zum Abendessen am Büfett anstellen, merke ich, dass sie mehr als nur ein bisschen angeheitert ist. Und nicht eben wenige der Jungs, die sicher ein paar Jahrgänge nach mir gezeugt wurden, reden sie mit ihrem Vornamen an.
»Woher kennst du die alle?«, zische ich.
»Ach, ich habe vorhin eine Partie Wasserball mitgespielt«, wirft sie locker zurück und häuft noch ein paar Melonenstücke auf ihren Teller.
»Schade, dass die gefüllten Tacos so schlecht für die Linie sind«, stellt sie bedauernd fest, als sie mir zusieht, wie ich drei der gefüllten Fladen auf meinen Teller häufe und ordentlich Avocadocreme darübergebe. Ein schlechtes Gewissen habe ich dabei gar nicht, auch nicht, nachdem ich schon meinen Tagesbedarf an Kalorien mit klebrigen Sahnecocktails gedeckt habe. AuÃerdem habe ich mich in der letzten Zeit hauptsächlich von Hühnersuppe ernährt.
Kaum haben wir uns hingesetzt, scharwenzelt auch schon eine vom Hotel bezahlte Mariachi-Gruppe um uns herum. Die etwas schiefen Geigenklänge an meinem Ohr hemmen meinen neu erwachten Appetit enorm. Meine Mutter findet die Musik natürlich sehr romantisch und ausgesprochen
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