Eigentlich bin ich eine Traumfrau
gut zu spüren, wie sie ihren Arm um mich legt und ein wenig unbeholfen über mein Haar streicht. Als sie die Hühnersuppe vor mir abstellt â aus der Dose, aber egal â ohne weitere Gesprächsversuche zu unternehmen, bin ich ihr sogar schon so dankbar, dass ich mich hinterher freiwillig und apathisch neben ihr vor den Fernseher lümmele. Ich schaue mit ihr die Promi-Magazine an und sauge noch ein bisschen von der überraschend wohltuenden, mütterlichen Wärme auf. Leider werden ausschlieÃlich frisch verlassene Schauspielerinnen gezeigt. Herrgott, wie kann etwas so Banales so schmerzen? Es werden doch pausenlos irgendwo Frauen sitzen gelassen. Und alle überleben sie es und finden neue, noch tollere Partner. Die Bilder zeigen es: Irgendein brasilianisches Model, das gerade erst von ihrem Schauspielerfreund verlassen wurde, verbringt mit ihrem neuen Freund Liebesurlaub in Mexiko â strahlend gebräunt im Stringtanga. Dummerweise wird kurz darauf die bleiche,
hochschwangere, schluchzende Freundin des Mannes eingeblendet. Mir kommen schon wieder die Tränen. Ich fühle mich ihr so unglaublich nahe. Vielleicht sollte ich ihr einen Brief schreiben, damit sie sich nicht ganz so verlassen fühlt.
»Wie schön«, seufzt meine Mutter da gerade.
»Hä?«
»Na, Mexiko, da müsste man jetzt sein. Sombreros, Tequila, Strand, Musik â¦Â«
Mexiko. Hm. Stimmt, da wollte ich doch schon immer mal hin. Gar keine schlechte Idee.
»O.K., Mama, dann lass uns dahin fliegen. Gleich nächste Woche, bitte.« Habe ich das wirklich gesagt? Die Worte haben sich einfach so den Weg über meine Lippen gebahnt, ohne dass ich meine Einwilligung gegeben hätte, ohne dass ich sie zuvor auch nur gedacht hätte. Wie ist so etwas nur möglich? Das menschliche Gehirn ist ein Wunder. Vielleicht ist es das. Ich werde wahnsinnig. Oder war es die warme Hühnersuppe? Egal, verzweifelt genug bin ich auf jeden Fall.
Verdutzt sieht sie mich an. Dann breitet sich langsam ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
»Aber sicher, mein Kind! So viel Spontaneität hätte ich dir gar nicht zugetraut. Du kommst eben doch nach mir.«
Das hoffe ich nun gerade nicht. Was habe ich nur getan? Aber vielleicht gibt es ja auch gar kein Hotel und keinen Flug mehr, vielleicht bin ich in der Redaktion unentbehrlich. Möge das Schicksal entscheiden.
A m Ende hat sich Schicksal eindeutig für Mexiko entschieden. Meiner Mutter ist es tatsächlich gelungen, uns auf den letzten Drücker noch Hotelzimmer und Flugtickets zu besorgen. In Cancún wanken wir beide schlaftrunken aus dem Flieger, um unseren zweiwöchigen Urlaub anzutreten. Schon in der Ankunftshalle wird es etwas zu kompliziert für meinen Geschmack. Erst muss man auf eine Klingel drücken, dann eine Ampel anstarren. Rot: Pech gehabt, der Koffer wird durchsucht. Grün: Passieren. Panisch sehe ich dem Treiben vor mir zu. Es wäre so peinlich, meinen nach dem Chaosprinzip gepackten Koffer vorzeigen zu müssen. Dem Kontrolleur würde zerknüllte Unterwäsche und die ganz sicher ausgelaufene Sonnencreme entgegenquellen. Andererseits sehen die Kofferinhalte der Pechvögel nach der Untersuchung genauso aus wie meiner im Jetzt-Zustand.
»Meinen Koffer werde ich ganz sicher nicht öffnen«, zischt meine Mutter so bestimmt, dass mir die Kontrolleure jetzt schon leidtun. Oh, Grün, Glück gehabt.
Ziemlich subtropisch hier. Am Bus angekommen bin ich klatschnass. Meine Mutter sieht hingegen taufrisch aus. Sie hat in der Flughafentoilette ihr Make-up aufgefrischt und den Pullover gegen ein knallrotes T-Shirt mit tiefem Rundhalsausschnitt und der Aufschrift »Caramba!« eingetauscht. Das schockiert mich kein bisschen. Vielleicht sind zerbrochene Lieben genau dafür gut, dass man reifer, weiser und nachsichtiger wird. Im Bus schleift sie mich auf die allerletzte Bank. In einer der vorderen Reihen hat sie ein deutsches, älteres Ehepaar entdeckt, das offenbar bereit
war, auf jeden einzuquatschen, der sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachte.
»Und ich fliege schlieÃlich nicht nach Mexico, um mich dann womöglich mit deutschen Touristen unterhalten zu müssen«, sagt sie.
Darauf hätte ich auch nicht besonders viel Lust gehabt. Komisch eigentlich, dass es so starke Reaktionen auslöst, die eigene Sprache im Ausland zu hören. Die einen geraten begeistert aus dem
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