Eighteen Moons - Eine grenzenlose Liebe (German Edition)
Naturgeborener, der Dunkel wurde. Und auch wenn Sarafine es gern geleugnet hätte, sie war Dunkel. Jedes Mal wenn sie in den Spiegel schaute, erinnerten sie ihre gelben Augen daran. Das geschah nicht sehr oft. Sie konnte ihren Anblick nicht ertragen, genauso wenig wie sie es ertragen konnte, dass John ihre Augen sah. Deshalb trug sie stets eine dunkle Sonnenbrille, auch wenn es John gleichgültig war, welche Augenfarbe sie hatte.
»Vielleicht bringen sie etwas Licht in dieses Loch«, hatte er einmal gesagt, während er sich in ihrer winzigen Wohnung umsah. Es war wirklich ein Loch – die Farbe blätterte von den Wänden und die Fliesen hatten Risse; die Heizung funktionierte nie und der Strom blieb andauernd weg . Aber Sarafine würde sich nie darüber beklagen, denn es war ihre Schuld, dass sie hier wohnen mussten. Schöne Wohnungen vermietete man nicht an Teenager, die offensichtlich von zu Hause weggelaufen waren.
Dabei hätten sie sich sogar eine bessere Unterkunft leisten können. John kam immer mit einer Menge Geld nach Hause. Es war nicht schwierig, etwas im Leihhaus zu versetzen, wenn man mühelos Dinge aus Jackentaschen oder Geschäften verschwinden lassen konnte. Er war ein Evaneszent, so wie die meisten großen Magier der Vergangenheit – und die meisten kunstfertigen Diebe . Aber er war auch Licht, und so nutzte er seine Gabe auf diese schnöde Art und Weise, um ihrer beider Überleben zu sichern.
Um ihr Überleben zu sichern.
Die Stimmen erinnerten sie jeden Tag daran .
Wenn du ihn verlässt, dann kann er mit seinen Taschenspielertricks bei sterblichen Mädchen Eindruck machen, und du kannst das tun, wozu du bestimmt bist.
Sie verdrängte die Stimmen aus ihrem Kopf, aber die Worte hinterließen Spuren, schufen ein Phantombild, das niemals gänzlich verschwand . Am lautesten waren die Stimmen, wenn sie etwas brennen sah – so wie jetzt.
Und schon fing das Küchenhandtuch an zu qualmen, verkohlte an den Rändern und kräuselte sich wie ein Tier, das sich vor Furcht zusammenrollt. Der Rauchmelder begann zu schrillen.
Sarafine schlug das Handtuch auf den Boden, bis statt der Flammen nur noch eine klägliche Rauchsäule aufstieg. Weinend starrte sie auf das schwarze Handtuch. Sie musste es wegwerfen, bevor John es zu Gesicht bekam. Sie konnte ihm nicht davon erzählen . Auch nicht von den Stimmen.
Es war ihr Geheimnis.
Jeder hatte doch Geheimnisse, oder?
Ein Geheimnis tat niemandem weh .
Mit einem Ruck setzte ich mich auf. In meinem Zimmer war alles ruhig. Das Fenster war geschlossen, obwohl die Hitze so erdrückend war, dass sich die Schweißtropfen auf meinem Rücken anfühlten wie herumkrabbelnde Spinnen. Mir war klar, dass ein geschlossenes Fenster Abraham nicht davon abhalten konnte, in mein Zimmer einzudringen, aber irgendwie fühlte ich mich heute besser so.
Eine unerklärliche Angst überfiel mich. Bei jedem Knarren im Holz rechnete ich damit, dass Abrahams Gesicht aus dem Dunkel auftauchte. Ich schaute mich um, aber es war einfach düster in meinem Zimmer, sonst nichts.
Ich trat die Bettdecke weg. Es war so heiß, dass ich nicht wieder einschlafen würde. Ich nahm das Glas von meinem Nachttisch und schüttete mir Wasser ins Genick. Das verschaffte mir einen Augenblick lang Kühlung, ehe die Hitze wieder gnadenlos zuschlug.
»Es muss erst schlimmer werden, bevor es wieder besser wird, weißt du.«
Beim Klang der Stimme wäre ich fast in Ohnmacht gefallen, so sehr erschrak ich. Mein Blick flog zu dem Stuhl in der Zimmerecke.
Darauf saß meine Mutter. Auf dem Stuhl, auf dem ich am Tag ihrer Beerdigung meine Kleider ausgebreitet hatte und den ich seither niemals wieder benutzt hatte. Sie sah aus wie im Sommer, als ich sie auf dem Bonaventura-Friedhof gesehen hatte. Die Konturen waren verschwommen, aber es war unverkennbar meine Mutter.
»Mom?«
»Liebling.«
Ich stieg aus dem Bett und setzte mich, mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, neben sie. Ich hatte Angst, ihr zu nahe zu kommen, hatte Angst, dass ich nur träumte und sie gleich wieder verschwinden würde. Ich wollte nur kurz neben ihr sitzen, so wie wir immer in der Küche gesessen und darüber gesprochen hatten, wie mein Tag in der Schule gewesen war. Es sollte so sein wie früher, auch wenn sie nicht wirklich bei mir war. »Was ist los, Mom? So wie jetzt habe ich dich noch nie sehen können.«
»Gewisse Umstände …«, sie zögerte, »… ermöglichen es dir, mich so zu sehen. Ich habe keine Zeit, es dir zu erklären.
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