Ein Abend im Club
Er war eben nicht mehr daran gewöhnt.
Und das Betrunkensein machte ihn traurig. Und die Traurigkeit böse. Die Liebe auch. Sie tat ihm weh, und der Schmerz machte ihn wütend, auf sich selbst, auf wen auch immer.
Das trifft sich gut, sagte Debbie. Was?, fragte Simon. Was trifft sich gut? Dass Sie keine Lust zum Schlafen haben. Wir sind bald dran. Wollen Sie mich immer noch begleiten? Sie haben es sich nicht anders überlegt?
Simon hatte es mehr als satt, vor diesem Lärmpegel zu reden. Ein Jazzclub ist nicht der rechte Ort zum Reden, noch nicht einmal über den Jazz oder die Liebe. Man schweigt und hört zu. Will man sprechen, muss man die Stimme erheben. Will man zu einer Frau sagen, Ich liebe Sie, muss man es schreien, das ist ermüdend. Es sei denn, sie liest einem die Worte von den Lippen ab. Sonst lässt sie es einen wiederholen. Wegen des Schlagzeugers. Simon hasste die Schlagzeuger. Schlagzeuger machen immer zu viel Lärm.
Wollen wir nicht lieber spazieren gehen?, fragte er, mir tut der Schädel weh, ich brauche Luft, hier erstickt man ja, ich kann Räume wie diesen nicht mehr ertragen, ich weiß ja nicht, wie Sie das schaffen, aber ich kann nicht mehr, ich dachte, ich könnte es noch, aber.
Ich verstehe, sagte Debbie, Sie haben keine Lust mehr. Nein, das ist es nicht, aber ich bin müde, sagte Simon. Und fügte hinzu: Sie gefallen mir, das ist nicht das Problem, übrigens liebe ich Sie bereits, und ich habe Lust auf Sie, da sehen Sie es, ich sage Ihnen, wie es ist, ganz direkt, ich habe keine Zeit mehr zu verlieren, ich bin zu alt, ich habe Lust, Sie zu küssen, aber ich bin zu müde.
In Ordnung, sagte Debbie, wir lassen es sein. Auf keinen Fall, sagte Simon. Wir singen, was wollen Sie, dass wir singen?
Liebeslieder. Debbie wollte von der Liebe singen. Diese Frauen, dachte Simon. Noch mehr?, fragte er. Also wirklich, haben Sie denn nichts anderes im Kopf? Ein trockenes Lachen schüttelte ihn, er hustete, sein Herz war völlig aus dem Takt.
Gut, sagte er, also fangen wir an mit den Liebesliedern. Aber welche? Es gibt so viele. Es gibt eigentlich nichts anderes. Ist Ihnen das schon aufgefallen? Du gehst mir auf die Nerven, dachte Debbie. Aber so haben wir wenigstens die Wahl, oder?, sagte er. Nur kenne ich nicht alle. Was möchten Sie singen?
Eines mochte Debbie besonders, Les Feuilles mortes war der französische Titel, für sie als Amerikanerin Autumn Leaves. O nein, nur das nicht, dachte Simon. Ja, wenn Sie mögen. Sie kannte den französischen Text. Es war ein Lied. Das uns sehr glich. Du der mich liebte. Ich die dich liebte. Wir lebten beide. Miteinander. Und Simon, dieser Idiot, begleitete sie, zu Tränen gerührt.
Außerdem auf dem Programm: Moonlight in Vermont, What Are You Doing the Rest of Your Life?, Lover Man, The Man I Love, My Funny Valentine.
Und als krönender Abschluss etwas Heiteres.
Die Melodie, in die Debbie Simon gezogen hatte, war eher sexy, eine Spur vulgär, sagen wir verrucht, in mittlerem Tempo, und alles hatte einen klar akzentuierten Swing. Es lief sehr gut. Den Titel habe ich vergessen. Simon hat ihn mir gesagt, aber ich habe ihn vergessen. Zu dumm. Ich kenne ihn in einer Version von Gerry Mulligan, glaube ich, nun, er wird mir schon wieder einfallen.
Es lief ja so gut. Ich stelle mir vor, Debbie schmiegte sich sehr verführerisch und in spöttischer Nachahmung eines Vamps der vierziger Jahre an den Flügel. Es war so schön, wie sie sich gegenseitig verführten, Simons Flügel und Debbies Stimme und Körper. Die Zuhörer waren hingerissen.
Und da wurden auch Paul und Scott, der Schlagzeuger und der Kontrabassist, die Pause hatten und an der Bar darauf warteten, dass es endlich vorbei wäre, nach und nach verführt und bezaubert von ihrer Chefin und schließlich in den Bann geschlagen, hypnotisiert von dem, was sich zwischen ihr und Simon zutrug. Und das war in der Tat, wenn ich richtig verstanden habe, ziemlich außergewöhnlich.
Paul ließ sein Glas stehen, Scott das seine, und dann bewegten sie sich auf die Bühne zu, und zwar unauffällig. Unauffälligkeit war jedenfalls, was sie anstrebten. Die Zuhörer verstanden sofort. Und applaudierten. Die beiden sprangen auf die Bühne.
Debbie empfängt sie mit improvisierten Begrüßungsworten. Scott richtet seinen Kontrabass auf, Paul setzt sich hinter sein Schlagzeug, und dann, Profis, die sie waren, klinkten sie sich ohne die geringste Verzögerung in den Swing ein.
Schon das Duo Debbie-Simon war sehr eindrucksvoll,
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