Ein abenteuerliches Herz
scheint es auch ebenso schwierig, zur Symmetrie zurückzufinden, wie zum Ursprünglichen. Alle symmetrischen Formen neigen zur Beharrung, daher wird man auch vielfach finden, daß ihnen ein Hang zur Panzerung entspricht. Die asymmetrischen Formen dagegen sind voll befreiter Möglichkeiten, sind Träger der Entwicklung, der Veränderung, der Abweichung. Amoeba proteus verkörpert fast die Idee des Asymmetrischen. Hier müßte man auch die Klasse der Würmer mustern als große Modellsammlung abweichender Bildungen. Dasselbe gilt für die einzelnen Organe; so ist die Bildung des Daumens nicht nur ein Fortschritt zur Asymmetrie, sondern zugleich ein Fortschritt zur freien Bildungskraft.
Auch in die menschlichen Stile spielt das Verhältnis ein. Soziale Veränderungen, Gewinne an Freiheit künden sich durch Verschiebungen, durch Unregelmäßigkeiten im Stile an. Wie wunderbar ist diese Entwindung aus den Fesseln des Mathematischen an der Bilderfolge der ägyptischen Kunst zu beobachten, etwa an jenen köstlichen Statuen, an deren Gewändern der erste, noch strenge Faltenwurf gleich einem Wellenspiel erscheint. So steht auch unser Barock in enger Beziehung zu einer neuen Art der Freiheit; und wenn sich die Säulen zu drehen beginnen, dann entspricht das auf der geistigen Ebene Windungen, wie man sie an den Übergängen vom Orthoceras zum Ammonshorn studieren kann. In diesem Sinne ist der Jugendstil ein fatales Vorzeichen und wurde auch vielfach als solches erkannt. Die Technik dagegen drängt zur Symmetrie und damit wahrscheinlich auch zu höchst konservativen Zuständen.
Mondello, 28. April 1929
Nach dem Schirokko regnete es fast den ganzen Tag. Nachmittags war es etwas heiterer. Gerade bei bedecktem Himmel wird die Strahlung oft stechend, als ob die weißen Wolken sie spiegelten.
Abends am Kai, an dem ich einen Knaben mit dem Dreizack Pulpen spießen sah. Die langen Arme der Tiere ringelten sich geschmeidig um das Eisen, an dem ihr Körper haftete. Das Bild erinnerte mich an den Zoologen, mit dem ich vor Jahren in einem der Arbeitsräume des Neapolitanischen Aquariums stand und dem ein kleiner Oktopus defilippi, den ich ihm aus der frischen Beute überreicht hatte, mit einem seiner ausgestreckten, von Saugnäpfen besternten Tentakeln unter die Manschette griff. Sein ganz unwissenschaftliches Entsetzen, besonders als sich bei dem Versuch, das Tier zurückzureißen, der Fangarm löste und haftend weiterschlängelte.
Dann kam ein Boot vorüber, in dem ein halbnackter Fischer bäuchlings den Grund mit einer Art von Sehrohr musterte. Er manövrierte, indem er mit gekrümmtem Fuße das Ruder in langsamen Flossenschlägen spielen ließ. Als er mich sah, erhob er sich und bot mir mit beiden Händen eine prächtige Aurata zum Kaufe an. Der Körper dieses königlichen Fisches glänzte in der Abendsonne wie ein Barren von reinem Golde, aus dessen Schmelz tief veilchenblaue Punkte leuchteten. Die Flossen spreizten sich zuckend, und wie purpurnes Meermoos oder roter Sammet schienen unter den goldenen Deckeln, die sich rhythmisch hoben, die blutfrischen Kiemen hervor.
Im Garten führte ich dann mit dem Vater Bosco ein hochpolitisches Gespräch, in dessen Verlauf er sich als Liberaler der alten Schule offenbarte, der viele Ideen geboren werden und viele scheitern sah. Es blieb ihm eine melancholische Ruhe, mit der er den Weltlauf verfolgt, zurück. Der »wahre Sozialismus« ist sein Ideal. Doch muß man immer im Auge behalten, daß auf dieser Insel die reale Politik die der Familie ist, die noch antike Dichtigkeit besitzt. Daneben fällt das starke Verhältnis, sei es der städtischen Honoratioren, sei es der Grundbesitzer, zu den Klienten auf. Diese, zum großen Teil Analphabeten, sind kräftiger, unabgeschliffener von der Allgemeinen Bildung als ihresgleichen in den westlichen und nördlichen Großstädten. Aus diesem Unterschied entspringt eine besondere Spannung, eine besondere Entsprechung von Kopf und Hand. Aus ihr erklärt sich auch der Aufbau und der Zusammenhang der örtlichen Geheimbünde, zu deren Zeichen übrigens auch die Hand als Sinnbild der unmittelbaren Aktion gehört und denen gegenüber der Staat erst in den letzten Jahren wirksam aufzutreten imstande war. Dafür bilden sie auf dem Nährboden der späten Demokratie, wie in den amerikanischen Großstädten, kräftige Ableger.
Mondello, 29. April 1929
Früh in Palermo, bei den Cappuccini. Dort erging ich mich einsam inmitten eines gewaltigen Kellers zwischen
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