Ein abenteuerliches Herz
erfuhr ich diese neue Kraft stets deutlicher, gleich einem Kinde, das täglich schärfer sehen lernt. Ganz ähnlich lernte ich täglich besser das Zweite Gesicht gebrauchen, das ungeheure Vorteile verleiht. Zunächst, wie bei dem Unfall der Schnellbahn und dem Kaminversteck, hatte sich mir diese Gabe in schlafwandlerischer Weise aufgedrängt; ich folgte ihr mit Traumessicherheit. Dann wurde sie mir bewußt. Ich lernte sie willkürlich lenken, kaltblütig und vom Verstande her. Vor allem wandte ich sie nur in mir genehmen Zusammenhängen an. Es war, als ob ich meine Sehkraft aufs höchste schärfen könnte, wenn ich sie anspannte. Ich lebte wie mit einem Mikroskop inmitten von Menschen, die nicht einmal ahnen, daß es solche Instrumente gibt. Doch machte ich nur nach Belieben von ihm Gebrauch. Dann sah ich die Elemente, die Atome, die die Ereignisse bestimmen, die Keime, die Glück und Unglück zeitigen. Ich ging dabei behutsam vor, wie unter einer Tarnkappe.
Natürlich suchte ich sogleich die altvertrauten Stätten des Glücksspiels auf. Ich wußte jetzt, wie die Karten schlagen, die Kugel fällt. Der Wechsel der Farben und der Ziffern hatte sein Bedrohliches verloren; er fand in meinem Innern, auf meinem Augengrunde statt. Es waren andere Probleme, die mich beschäftigten. Ich mußte die neue Macht, die mir verliehen war, beherrschen lernen, mußte mich zugleich an sie gewöhnen und sie verheimlichen. In dieser Absicht saß ich zunächst lange und zögernd am grünen Tisch wie jemand, der nur ein einziges Goldstück mitbringt und ängstlich wartet, bis er es riskiert. Ich wollte mich in meiner Wissenschaft bestätigen. Bald sah ich, daß sie unfehlbar war.
Sodann begann ich zu pointieren und legte es darauf an, daß ich verlor. Ich machte mir als schlechter Spieler einen Ruf. Der Doktor Fancy hatte sich keinen Dummkopf ausgesucht. Darauf begann ich bescheiden zu gewinnen, hier dreißig, dort fünfzig Pfund. Ich machte die Verluste sichtbar und die Gewinne unsichtbar. Vor allem war es wichtig, daß ich meine Kunst verbarg. Zwar würde niemand sie auch nur ahnen, doch war es auf jeden Fall bedenklich, wenn man mich in großen Serien gewinnen sah. Ich wußte jetzt übrigens, was ich stets vermutet hatte: daß jeder Gewohnheitsspieler Falschspieler ist.
Sehr bald verlor ich den Genuß daran. Die wilde Spannung, die mich sonst ergriffen hatte und die Nacht im Nu verstreichen ließ, wich nach der ersten Überraschung der Langeweile, als ich meine Chance unfehlbar sah. Ich saß am Spieltisch, wie ein Beamter im Büro dem Dienstschluß entgegenharrt. Vergnüglich blieb dabei nur die Leidenschaft der anderen – die Art, in der ich die Gimpel im Garne flattern und die Betrüger wiederum von mir betrogen werden sah.
Bald wandte ich mich feineren Geschäften zu. Ich zog in den Westen und mietete ein Haus mit Dienerschaft. Die erste Transaktion, die ich von dort aus unternahm, bezog sich auf einen Erbschaftsfall. Ich kannte eine große Hinterlassenschaft und auch die armen Erben des verschollenen Verwandten – zwei Daten, deren Kenntnis ich durch einen Strohmann in bares Geld verwandelte. In dieser Weise erwarb ich Schiffe, die als überfällig galten, und schloß gewagte Versicherungen ab. Auch machte ich Erholungsreisen an Orte, an die sich Sagen von vergrabenen Schätzen knüpften, und spürte sie ohne Mühe auf. Doch plagte ich mich nicht mit ihrer Hebung; ich ließ sie an ihrem Platze, wo sie mir sicherer waren als auf der Bank. Ich nahm sie auf und fügte die Skizzen und Karten meinen Wertpapieren bei. Ich machte dabei die Erfahrung, daß die Gerüchte, die sich derart im Volk erhalten, meist wohlbegründet sind. Auch ist die Zahl geheimer Schätze bei weitem größer, als man ahnt.
Noch müheloser war die Spekulation auf Mineralien. Ich kannte die Orte, an denen man fündig wird. Die Kenntnis hielt ich verborgen und schlug sie zu meinem Kapital. Dagegen reizte es mich, Gewinn zu ziehen aus Feldern, von denen ich wohl wußte, daß jede Mutung vergeblich war. Ich schloß Verträge mit den Grundbesitzern, um darauf Gewerkschaften zu gründen; man riß mir die Kuxe aus der Hand. Indem ich mich mit ihrem Geld begnügte, überließ ich den Käufern die Hoffnung auf reiche Funde und die Zahlung der Zubuße.
Nachdem ich eine Reihe von größeren Erfolgen ausgekostet hatte, erschien mir die Art, den einzelnen Objekten nachzustellen, zu mühselig. Sie hielt mich vom Vergnügen ab. Notwendig geriet ich auf das Feld der
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