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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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sann nun über meine neuen Möglichkeiten nach. Zunächst kam es darauf an, daß ich mich vorsichtig aus dem Zustand zurückerhob, in den ich abgesunken war. Ich würde einen Altstadttrödler suchen und mich billig einkleiden. Dann würde ich das kleine Zimmer wieder mieten, das ich vor meiner Obdachlosigkeit bewohnt hatte. Dort könnte ich mir einen Schneideranzug machen lassen und wieder umziehen. So hob ich mich allmählich wie durch eine Reihe von Schleusen aus der Kloake auf.
    Mit frischem Mut begab ich mich zur Schnellbahn, die in die Altstadt fuhr. Der gelbe Zug lief ein, die Türen rollten auf. Die Menge drängte sich in die Abteile, mich aber hielt eine seltsame Vision zurück. Mir war, als sollte ich in einen Leichenwagen einsteigen. Der Schaffner, die Passagiere blickten mich mit fürchterlichen Augen an. Das mußte noch eine Nachwirkung des Schreckens sein – ein Fetzen aus der Bildwelt eines Halbertrunkenen. Doch wurde mir unbehaglich, und ich beschloß, zu Fuß zu gehen. Ich folgte den auf hohen Pfeilern ruhenden Gerüsten des Schienenstranges zur Innenstadt. An einer Überführung in der Nähe des Gleisdreiecks hielt mich eine Menschenmenge auf. Ein großes Unglück war geschehen; die Schnellbahn war abgestürzt. Ich sah den Schaffner, den man mit zerquetschtem Schädel auf einer Bahre vorübertrug. Schnell machte ich mich davon, als hätte ich die Katastrophe nicht nur vorhergesehen, sondern auch mitbewirkt.
    Am Abend saß ich beim Tee in meinem Zimmerchen. Vor allem wollte ich fortan den starken Getränken aus dem Wege gehen. Ich trug jetzt Seemannshosen und einen wollenen Sweater, auch war ich gebadet und frisch rasiert. Ein Köfferchen voll Wäsche stand neben mir. Zuweilen fühlte ich nach meiner Brieftasche. Ich stopfte mir ein Pfeifchen mit Virginiatabak. Die Wirtin hatte mich mißtrauisch empfangen, doch, als ich ihr die verjährten Schulden zahlte, mir gern das Zimmer wieder eingeräumt. Sie war ja nicht heikel, denn der Mieter, den sie vor mir hatte, war als Defraudant verurteilt worden, und dennoch besuchte sie ihn im Gefängnis, in dem er schon seit zwei Jahren saß. Er hatte lange bei ihr als kleiner Angestellter in unauffälligen Verhältnissen gelebt, dann hatten sich große Unterschleife herausgestellt.
    Indem ich daran dachte, stieg mir ein wunderlicher Gedanke auf. Man hatte nie ermitteln können, wie er das Geld verbraucht hatte. Wahrscheinlich hielt er es versteckt. Wie denn, wenn er es ganz in der Nähe verborgen hätte, vielleicht sogar in diesem Zimmer selbst? Der Anteil, den er noch an seiner Wirtin nahm, war merkwürdig. Ich fühlte, wie ein gieriger Scharfsinn in mir wach wurde. In einer ganz anderen Weise als bisher sah ich mich in den altvertrauten vier Wänden um, bestrebt, mich in die Gedanken eines Menschen zu versetzen, der ein Versteck erkunden will. Ich wußte sogleich, daß dazu kein anderer Ort in Frage kommen könnte als der Kamin. Zwar hatte die Polizei schon gründlich nachgesucht, doch ist die Technik dieser Geister ja subaltern.
    Vorsichtig schloß ich die Tür und machte mich ans Werk. Ich nahm zwei Leuchter und eine Stutzuhr ab, die auf dem Simse standen, und versuchte, die Marmorplatte hochzustemmen, die er trug. Sie war befestigt, doch hob sie sich ein wenig, wie etwa der Deckel einer Truhe, die verschlossen ist. Es schien, daß eine Art von Riegel sie sperrte, und wirklich fand sich ein Zierat, der, wenn man ihn bewegte, den Widerstand beseitigte. Die Platte ließ sich heben und gab eine Vertiefung frei. Banknotenbündel und Beutel voll gemünzten Goldes füllten sie. Ich hatte den Geheimtresor entdeckt.
    So hatte ich also lange Zeit in tiefster Armut meine Tage neben einem Schatz dahingeschleppt, der sich kaum armesweit von mir befand, gleich einem, der über einer verborgenen Wasserader am Durst hinsiecht. Wie manche lange Nacht war ich, die Chancen übersinnend, im Zimmer auf und ab geschritten und hatte auf diesem Sims das Grogglas abgestellt. Zahllose Male hatte ich die Pfeife an ihm ausgeklopft. Und schier verächtlich wollte es mir scheinen, daß man so stumpfen Sinnes leben konnte, wie ich es getan. Behutsam und mit wachsendem Stolz über meine neue Intelligenz zählte ich die Scheine und Goldstücke. Mit solchen Mitteln in der Hand läßt man sich nicht festnehmen; der Bursche hatte seine Strafe verdient.
    Es war kein Zweifel, daß die Begegnung mit Doktor Fancy mich verändert hatte – er hatte recht: ich mußte ihm dankbar sein. Von nun an

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