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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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ein kultisches ist. Davon lebt bereits Kniébolo, und daher die völlige Unfähigkeit der liberalen Intelligenzen, auch nur den Ort zu sehen, an dem er steht.
    Dann über Bogos Reisen. Darunter manche Geheimnisse. Besonders bestürzten mich Einzelheiten, die er aus dem Getto von Lodz oder, wie es jetzt heißt, von Litzmannstadt berichtete. Er hatte sich dort unter einem Vorwand eingeführt und mit dem Vorsteher der Judenschaft, einem ehemaligen österreichischen Oberleutnant, konferiert. Es leben dort hundertundzwanzigtausend Juden auf das engste zusammengedrängt, indem sie für die Rüstung arbeiten. Sie haben eines der größten Werke im Osten aufgebaut. So können sie sich fristen, da sie unentbehrlich sind. Indessen strömen aus den besetzten Ländern immer neue Juden als Deportierte zu. Um diese aus der Welt zu schaffen, sind nahe den Gettos Krematorien gebaut. Man schafft die Opfer dorthin in Autos, die eine Erfindung des Chefnihilisten Heydrich sein sollen – in ihnen werden die Auspuffgase ins Innere geleitet, das so zur Todeszelle wird.
    Auch soll es noch eine zweite Art der Schlachtung geben, die darin besteht, daß man die Opfer vor der Verbrennung nackt auf eine große Eisenplatte führt, die dann mit Starkstrom geladen wird. Man ist zu diesen Methoden übergegangen, weil sich zeigte, daß die SS -Leute, die man zur Abgabe der Genickschüsse bestimmt hatte, Störungen erlitten und sich zuletzt weigerten. Für diese Krematorien braucht man geringes Personal; es soll dort eine Art von höllischen Meistern und Knechten ihr Werk treiben. Dort also verschwinden die Massen von Juden, die man aus Europa zur »Umsiedlung« verschickt. Das ist die Landschaft, in der Kniébolos Natur sich wohl am klarsten offenbart und die selbst Dostojewski nicht vorausgesehen hat.
    Die für die Krematorien Bestimmten müssen vom Gettovorsteher benannt werden. Nach langer Beratung mit den Rabbinern wählt er dazu die alten Leute und die kranken Kinder aus. Unter den Alten und Gebrechlichen sollen viele sich freiwillig melden – so schlagen solche fürchterlichen Händel doch immer zum Ruhme der Verfolgten aus.
    Das Getto von Litzmannstadt ist abgeschlossen – in anderen, kleineren Städten gibt es auch solche, die nur aus einigen Straßen, in denen Juden wohnen, gebildet sind. Dort sollen jüdische Polizisten, die mit der Ergreifung von Opfern beauftragt waren, auch deutsche und polnische Passanten, die durch das Getto kamen, ergriffen und abgeliefert haben, ohne daß je von ihnen etwas wieder gehört wurde. Insbesondere wird das von Wolgadeutschen behauptet, die dort auf Landzuteilung warteten. Natürlich beteuerten sie ihren Henkern, daß sie keine Juden seien, doch wohl nur, um zu hören: »Das hat hier noch jeder gesagt.«
    Im Getto sollen keine Kinder gezeugt werden, außer von der frömmsten Sekte, den Chassidim.
    Am Namen »Litzmannstadt« wird deutlich, welche Ehrungen Kniébolo zu spenden vermag. Er hat den Namen dieses Generals, den Schlachtensiege zierten, auf alle Zeiten mit einer Schinderhütte verknüpft. Das war mir doch von Anfang an deutlich, daß seine Auszeichnungen am meisten zu fürchten seien, und ich sagte mit Friedrich Georg:
    Ruhm nicht bringt es, eure Schlachten
    Mitzuschlagen.
    Eure Siege sind verächtlich
    Wie die Niederlagen.
    *
    Paris, 21. Juli 1944
    Gestern wurde der Anschlag bekannt. Ich erfuhr die Einzelheiten durch den Präsidenten, als ich gegen Abend aus Saint-Cloud zurückkehrte. Die höchst gefährliche Lage gewinnt damit noch eine besondere Zuspitzung. Der Attentäter soll ein Graf Stauffenberg sein. Ich hörte den Namen bereits von Hofacker. Das würde meine Meinung bestätigen, daß an solchen Wenden die älteste Aristokratie ins Treffen tritt. Aller Voraussicht nach wird diese Tat furchtbare Gemetzel einleiten. Auch wird es immer schwieriger, die Maske zu bewahren – so geriet ich heute vormittag in einen Wortwechsel mit einem Kameraden, der das Ereignis als »unerhörte Schweinerei« bezeichnete. Dabei bin ich seit langem der Überzeugung, daß durch Attentate wenig geändert und vor allem nichts gebessert wird. Ich deutete das schon in der Schilderung Sunmyras in den »Marmorklippen« an.
    Nachmittags verbreitete sich im engsten Kreis die Nachricht, daß der Oberbefehlshaber seines Amtes enthoben und nach Berlin befohlen sei. Er hatte, als die Nachricht aus der Bendlerstraße eingelaufen war, die gesamte SS und den Sicherheitsdienst verhaften lassen, um sie dann wieder in Freiheit

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