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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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der »Causes célèbres«, herausgegeben 1772 zu Amsterdam von M. Richet, ehemaligem Advokaten am Parlament. Darin fand ich in der Schilderung des gegen die Brinvilliers gerichteten Prozesses den Satz: »Les grands crimes, loin de se soupçonner, ne s' maginent même pas.« Das ist ganz richtig und beruht darauf, daß das Verbrechen sich im gleichen Maße steigert, in dem es, aus dem Tierischen aufsteigend, an Geist gewinnt. Im gleichen Maße verschwinden auch die Indizien. Die größten Verbrechen beruhen auf Kombinationen, die, logisch gesehen, dem Gesetz überlegen sind. Auch verlagert sich das Verbrechen immer mehr von der Tat in das Sein, um Stufen zu erreichen, auf denen es als abstrakter Geist des Bösen in der reinen Erkenntnis lebt. Endlich verliert sich auch das Interesse – das Böse wird um des Bösen willen getan. Das Böse wird zelebriert. Dann gibt auch die Frage »Cui bono?« keinen Anhalt mehr – es ist nur eine Macht im Universum, der es zugute kommt.
    Abends kam Bogo mit Husser ins »Raphael«. Bogo erscheint mir in dieser an originalen Kräften so armen Zeit als einer der Bekannten, über die ich am meisten nachgedacht und noch am wenigsten zum Urteil gekommen bin. Früher glaubte ich, daß er in die Geschichte unserer Zeit eingehen würde als eine ihrer geistreich überspitzten, doch weniger bekannten Figuren, und heute glaube ich, daß er mehr bestellen wird. Vor allem sind viele, ja vielleicht die meisten der geistig bewegten jungen Leute der Generation, die nach dem Weltkrieg in Deutschland heranwuchs, durch seinen Einfluß und oft durch seine Schule hindurchgegangen, und fast immer konnte ich beobachten, daß die Begegnung sie zeichnete.
    Er kam aus der Bretagne, nachdem er vorher in Polen und Schweden gewesen war. Nach alter skurriler Gewohnheit begann er sich auf die Diskussion vorzubereiten, indem er verschiedene Gegenstände auspackte, so eine Reihe geschnitzter Pfeifen mit Tabaksbeutel und Reinigern, ferner ein Käppchen aus schwarzem Sammet, mit dem er seinen seit langem kahlgewordenen Kopf verschönerte. Dabei sah er mich listig und forschend an, doch auch behaglich wie einer, der mancherlei Aufschlüsse erwartet und auch selber erfreuliche Dinge hinter dem Berge hält. Ich hatte den Eindruck, daß er die Pfeifen wählte, wie es der Fortgang des Gesprächs erforderte.
    Ich fragte ihn nach einigen Bekannten, wie nach Gerd von Tevenar, der kürzlich gestorben ist, und hörte, daß er ihn beerdigt hat. Von Aretz dagegen, der mich vorgestern besuchte, meinte er: »Den habe ich getraut.« Auf diese Weise bestätigte er mir einen Verdacht, den ich seit langem hege, nämlich den, daß er eine Kirche gegründet hat. Er sitzt jetzt über der Dogmatik, während er mit der Liturgik schon weit gediehen ist. So zeigte er mir eine Reihe von Gesängen und einen Festzyklus »Das Heidnische Jahr«, der eine Zuordnung von Göttern, Festen, Farben, Tieren, Speisen, Steinen und Pflanzen umfaßt. Ich las darin, daß die Lichtweih am 2. Februar zu feiern ist. Sie ist der Berchta heilig, deren Zeichen die Spindel, deren Tier der Bär und deren Blume das Schneeglöckchen ist. Ihre Farben sind fuchsrot und »schneeigt«; als Geschenk für ihre Feier gilt der Drudenfuß. Als Speise ist Hering mit Klößen festlich, als Trank dazu der Seehund, und Klemmkuchen als Gebäck. Dagegen fand ich zur Fastnacht, die der Freya zu Ehren gefeiert wird, Zunge, Champagner und Krapfen angeführt.
    Über die Lage. Hier war er der Meinung, daß, nachdem die Biedenhörner nicht vermocht hätten, Kniébolo in die Luft zu sprengen, dies Aufgabe bestimmter Zirkel sei. Er ließ durchblicken, daß er unter Umständen das selber vorzubereiten und anzuordnen gezwungen sei – gleichsam als Alter vom Berge, der seine jungen Leute in die Paläste schickt. Das Grundproblem der Politik von heute, wie er es auffaßt, lautet etwa: »Wie kommt man für fünf Minuten mit Waffen in den Sperrkreis Eins?« Indem ich ihn die Einzelheiten ausführen hörte, wurde mir die Lage Kniébolos deutlich, der heute von vielen Seiten von seinen Jägern umspürt und angegangen wird.
    Grundsätzlich glaubte ich an Bogo eine Veränderung wahrzunehmen, die mir für die gesamte Elite kennzeichnend scheint und die darin besteht, daß er mit dem rationalistisch erworbenen Elan in metaphysische Gebiete eilt. Das fiel mir bereits an Spengler auf und zählt zu den günstigen Vorzeichen. Summarisch gesprochen, war das 19. Jahrhundert ein rationales, während das 20.

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