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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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der Turbinen, die in den Katarakten stehen, und die rhythmische Explosion der Motoren uns mit einem geheimeren Stolz als mit dem des Siegers ergreift.
    An der Abzucht
    Goslar
    Goslar wird von der Gose durchflossen, einem schmalen Gewässer, das am Frankenberger Plan in die Stadt einfließt und sie durch das große Wasserloch der Stadtmauer wieder verläßt. Diese schwache Stelle wurde früher durch die Wasserburg gedeckt, ein Gebäude, das zu den unbekannten Schätzen der Stadt gehört und sich sehr gut erhalten hat.
    Innerhalb der Mauern wird die Gose seit alten Zeiten die »Abzucht« genannt; dieser Name kam mir als Bezeichnung der verbrauchten und abziehenden Wässer sinnreich vor. Wie ich erfahre, führt er sich jedoch über Agetocht auf das lateinische aquaeductus zurück, das mir weniger angemessen erscheint. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie die Volkssprache ein Fremdwort verdaut.
    Bei meinem täglichen Gang um den Wall biege ich häufig in den Kanal der Wasserburg ein und gehe längs der Abzucht zurück. Friedrich Georg, der mich heute begleitete, machte mich auf ein vom Wasser überströmtes Gebilde aufmerksam, das wir zunächst für eines jener Stoffspielzeuge hielten, wie man sie für Kinder anfertigt. Bei näherer Betrachtung entdeckten wir jedoch, daß es sich um ein winziges Lämmchen handelte, an dem noch die Nabelschnur zu sehen war. Das Gebilde, das uns auf den ersten, flüchtigen Blick ergötzt hatte, wurde uns sogleich zuwider, besonders als wir immer deutlicher erkannten, daß es sich eigentlich nur noch um die letzte Nachbildung einer lebendigen Form handelte, und zwar um eine Nachbildung aus höchst feinen Schlammflöckchen, die in der Strömung zitterten.
    Die Entdeckung, daß sich uns eine Erscheinung, wie in diesem Falle die des Lieblichen, nur vorspiegelt und daß sich im Grunde das Nichts hinter ihr verbirgt, ist mir nicht neu, und doch hat sie immer etwas Beunruhigendes. So blickt man zuweilen in Augen, die nur aus trübem gefrorenem Schlamm bestehen und in denen sich der höchste Grad menschlicher Abgestorbenheit verrät. Es gibt heute eine neue Art des Schreckens, ähnlich als ob man auf eine verborgene Wasserleiche stieße – Begegnungen, in denen eine ganz bestimmte theologische Lage sich andeutet und denen gegenüber der Mensch des längst vergessenen Schutzes strenger Reinigungsvorschriften bedürftig wird.
    Der umgekehrte Fall dagegen, in dem das Tote sich als lebend offenbart, hat etwas Erheiterndes. Man meint etwa, ein Stück verschimmeltes Holz zu erblicken, und gleich darauf fliegt eine große Heuschrecke davon, indem sie unter ihren grauen Deckflügeln ein zweites, leuchtendes Flügelpaar enthüllt.
    Die Phosphorfliege
    Goslar
    Um die Mittagsstunde beobachtete ich in einer Schonung am Steinberg ein großes Wespennest, das halb geöffnet war. Dabei fiel mir eine kleine Fliege auf, schwarz mit gelben Ringen und besonders ausgezeichnet durch zwei grelle Flecke, die wie Katzenaugen vorn am Bruststück leuchteten. Die Tierchen lauerten vor der Öffnung des Nestes, während die Wespen aus- und einschwirrten. Sie trugen sich wohl mit Plänen räuberischer Art, deren Ausführung ich gern belauscht hätte. Vielleicht hatten sie auch eine Kindesunterschiebung im Sinn.
    Während dieser Beschäftigung hörte ich, wie zwei Knaben am Rande der Schonung vorbeischlenderten. Sie waren in ein metaphysisches Gespräch vertieft, wie es Kinder gar nicht selten führen, wenn keine Erwachsenen in der Nähe sind. Leider erhaschte ich nur einen Satz, nämlich:
    » – – – und weißt du, was ich glaube? Was wir hier leben, ist nur geträumt; wir erleben aber nach dem Tode dasselbe in Wirklichkeit.«
    Ich schlug rasch einen Bogen, um diesen Burschen zu sehen; es war der elfjährige Sohn eines Wegewärters, der in der Nähe wohnt. Solche Kinder sind natürlich klüger als wir. Leider kann man verfolgen, daß sich diese Art unmittelbarer Einsicht bald verliert; die entscheidende Zeit ist die des Stimmwechsels. Auch ich erinnere mich noch gut an meine ersten metaphysischen Vorstellungen; eine von ihnen bestand darin, daß ich die Erwachsenen für Schauspieler hielt, die sich, sowie sie unter sich wären, mit ganz anderen Dingen beschäftigten. So hielt ich auch die Schule für eine von ihnen erfundene Vorspiegelung. Einmal, als ich andere, ältere Kinder mit Tornistern an mir vorbeikommen sah, begann ich doch zu zweifeln, dachte mir dann aber sogleich: »Die sind nur hier vorbeigeschickt,

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