Ein abenteuerliches Herz
Weg, auf dem die menschliche Würde ihre Wiederherstellung erfährt. Es gibt kein Leben, das sich ganz vor dem Niederen bewahrt hätte; niemand kommt ohne Einbuße davon. Nun aber gibt es kein Ausweichen mehr, wie in einem felsigen Engpasse, und auch kein Zögern, welche Hindernisse sich auch auftürmen. Der Tod regiert jetzt den Schritt, wie ein ferner Katarakt den Lauf der Strömung bestimmt Der Mensch gleicht auf diesem einsamen Marsche, den nichts zu hindern vermag, einem Soldaten, der seinen Rang zurückgewinnen wird.
Wie dem Kinde Organe gegeben sind, welche die Geburt erleichtern und ermöglichen, so besitzt der Mensch auch Organe für den Tod, deren Bildung und Kräftigung zur theologischen Praxis gehört. Wo diese Kenntnis erlischt, verbreitet sich dem Tode gegenüber eine Art von Idiotie, die sich im Anwachsen der blinden Angst wie auch einer ebenso blinden, mechanischen Todesverachtung verrät.
Das Echo der Bilder
Rio
Seit der Morgendämmerung war ich in dieser Residenz des Sonnengottes umhergestreift, deren Felsentor den Fremdling gleich neuen Säulen des Herkules empfängt, jenseits deren er die Alte Welt vergißt. Ich hatte die Märkte und Hafenquartiere durchdrungen und war die hohen Prunkstraßen entlanggeschritten bis zu den äußersten Vorstädten, in denen der Kolibri die großen Blüten der Gärten befliegt. Dann wieder war ich durch Alleen von Königspalmen und Flamboyants in die volkreichen Viertel zurückgekehrt und hatte das Leben bei seinen geschäftigen und müßigen Gängen belauscht.
Erst spät am Nachmittag erwachte ich wie aus einem Traum, bei dem man Essen und Trinken vergaß, und fühlte, daß der Geist unter der Überfülle der Bilder zu ermatten begann. Dennoch vermochte ich mich nicht zu trennen und war wie ein Geizhals mit meiner Zeit. Ohne mir Rast zu gönnen, bog ich in immer neue Straßen und Plätze ein.
Bald aber schien es mir, als ob meine Schritte wieder leichter würden und die Stadt sich seltsam veränderte. Zugleich veränderte sich meine Art zu sehen – denn während ich bislang die Blicke an das Neue und Unbekannte verschwendet hatte, drangen nun die Bilder spielend in mich ein. Auch waren sie mir jetzt bekannt; sie schienen mir Erinnerungen, Kompositionen meines Selbst zu sein. Ich instrumentierte meine Laune nach Belieben damit, wie jemand, der mit seinem Taktstock spazierengeht und, indem er bald hier, bald dort hinweist, mit der Welt musiziert.
Nun hatte ich das Gefühl, bei Reich und Arm zu Gast zu sein, und der Bettler, der mich ansprach, erwies mir einen Dienst, indem er mir Gelegenheit gab, es zu bestätigen. An Punkten, an denen der Blick die Stadt als Amphitheater umfaßt, leuchtete mir ein, daß ein solches Bauwerk wohl von vielen Geschlechtern wie von Bienen zusammengemörtelt ist, daß es jedoch zugleich ein Geist erstehen ließ wie den Traum einer Nacht, und nicht als Wohnsitz für Menschen allein. Auch die Perlmuscheln werden mühsam aus Schichten erbaut, und doch liegt nicht darin ihr Wert.
Am Abend, in einem Café an der Copacabana, dachte ich über diese Verhältnisse nach. Es schien mir, daß es nicht nur für das Ohr, sondern auch für das Auge ein Echo gibt – auch die Bilder, die wir betrachten, rufen einen Reim zurück. Und wie es für jedes Echo besonders günstige Verhältnisse gibt, so ist es hier die Schönheit, die am mächtigsten widerklingt.
Einfacher und gründlicher gefaßt aber liegen die Dinge so: Mit dem tiefen, lustvollen Blick, den wir auf die Bilder richten, bringen wir ein Opfer dar, und je nach unserer Spende werden wir erhört.
DER WALDGANG, 1951
16
Zwei Tatsachen müssen wir erkennen und anerkennen, wenn wir aus dem bloßen Zugzwang heraustreten wollen zur überlegten Partie. Wir müssen erstens wissen, wie wir am Beispiel der Wahl gesehen haben, daß nur ein Bruchteil der großen Menschenmassen fähig ist, den mächtigen Fiktionen der Zeit zu trotzen und der Bedrohung, die sie ausstrahlen. Dieser Bruchteil freilich kann stellvertretend sein. Zum zweiten sahen wir am Beispiel des Schiffes, daß die Mächte der Gegenwart zum Widerstand nicht ausreichen.
Die beiden Feststellungen enthalten nichts Neuartiges. Sie liegen in der Ordnung der Dinge und werden sich stets von neuem aufzwingen, wo Katastrophen sich ankünden. Immer wird dann das Handeln auf Auslesen übergehen, die die Gefahr der Knechtschaft vorziehen. Und immer wird den Aktionen Besinnung vorausgehen. Sie äußert sich einmal als Zeitkritik, das heißt:
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