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Ein allzu braves Maedchen

Ein allzu braves Maedchen

Titel: Ein allzu braves Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sawatzki
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nicht wusste, warum es mir so schlecht ging. Weil ich glaube, dass Menschen sich nicht füreinander interessieren. Nicht wirklich. Dass alle nur für sich leben. Meine Mutter hatte ja immer genug mit sich selbst zu tun. Das war ungefähr fünf Jahre nach dem Tod meines Vaters, und meine Mutter sprach immer davon, dass sie sich sowieso irgendwann das Leben nehmen würde, und las ständig Bücher wie Lassen Sie der Seele Flügel wachsen und so einen Kram. Ich fand das irgendwie lustig. Denn dass das nichts nützen würde, hab ich geahnt.
    Manchmal denke ich daran, wie es war, als wir noch allein zusammenlebten. Also vor der Zeit mit meinem Vater. Da hatte ich sie ganz für mich. Als mein Vater dazukam, konnten meine Mutter und ich nicht mehr zusammen sein. Der hat sich immer zwischen uns gedrängt, und meine Mutter wollte es allen recht machen. Wenn er mich verhauen hat, hat sie immer nur geschrien, sie tat so, als würde sie die Schläge abbekommen. Dabei lag ich doch am Boden.
    Sie hat mich nie gefragt, wie die Nächte mit meinem Vater waren. Was wirklich passiert ist.
    Und von allein konnte ich wohl nichts erzählen, ich schämte mich und wollte auch nichts falsch machen, damit sie stolz auf mich war. Darauf, dass man sich so gut auf mich verlassen konnte, obwohl ich noch so klein war.«
    Sie dachte nach.
    »Ich traue mich sonst auch nie zu sagen, was ich wirklich denke. Das hat sich früh bei mir eingeprägt. Dass man besser durchs Leben kommt, wenn man die Klappe hält.«
    »Können Sie Ihre Mutter beschreiben?«
    »Meine Mutter war wunderschön. Sie war groß und schlank und hatte lange Beine. Wenn sie mir abends Schlaflieder vorsang, war das, als würde ein Engel durchs Zimmer fliegen. Und trotzdem … Vielleicht hat es nicht nur an meinem Vater gelegen, dass alles kaputtging.«
    »Können Sie das erklären?«
    »Vielleicht hat sie einen Teil meiner Kindheit aus mir rausgeschnitten, als sie gemerkt hat, dass sie es allein mit meinem Vater nicht schafft.«
    »Ihre Mutter war überfordert, das war nicht gegen Sie gerichtet.«
    »Ist mir egal, gegen wen das gerichtet war. Ich hoffe, die schmoren beide in der Hölle.«

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Schon als Jugendliche hatte sie ein Gespür dafür entwickelt, wie sie an Geld kommen konnte. Mit dreizehn, nach dem Tod des Vaters, schloss sie sich einer Clique an, die ab und zu kleine Brüche machte. Da fiel immer was ab. Zusätzlich gab sie Flötenunterricht. Sie hatte immer am meisten Geld von allen. Wenn ihre Mutter abends zur Nachtschicht ging, kamen ihre Freunde, und sie bekochte alle. Reis mit Dosengemüse. Ihr Vater hatte neben unzähligen Büchern ein paar Kisten Wein hinterlassen. Das war dieser Glykolwein, von dem manche damals blind wurden. So hieß es zumindest in der Zeitung. Später war sie das erste Mädchen in ihrer Schule, das eine Honda Dax fuhr. Sie hatte in den Ferien im Supermarkt und als Putzfrau im Krankenhaus gejobbt. Sie fuhr schon mit fünfzehn mit ihrem Mokick rum, ohne Helm und meistens betrunken oder bekifft. Sie ging auch nur noch in die Schule, um zu zeigen, dass es sie noch gab, oder einfach, um mal auszuschlafen.
    Sie fiel durchs Abitur und fing in München als Kellnerin an. Irgendwann kam ihr die Idee, es als Fotomodell zu versuchen. Dünn genug war sie ja. Sie suchte in der Zeitung nach entsprechenden Anzeigen und war überrascht, wie viele Modelle pro Tag gesucht wurden. Ziemlich schnell bekam sie einen Termin zu Probeaufnahmen. Als der Fotograf sie bat, sich nackt auszuziehen, wurde ihr klar, dass sie da irgendwas durcheinandergebracht hatte. Sie machte dann aber trotzdem mit. Als sie nach dem Shooting fünfzig Mark für die Setkarte dalassen musste, war es mit der ersten Begeisterung vorbei.
    Schritte auf dem Flur der Psychiatrie unterbrachen ihre Gedanken, und sie kroch unter die Bettdecke. Ihr war kalt, und sie wollte niemanden sehen. Sie umschloss die angewinkelten Beine mit den Armen und presste das Gesicht an ihre Knie.
    Der Fotograf hatte sich nie wieder bei ihr gemeldet, und sie jobbte erst mal weiter als Bedienung. Später verhökerte sie auf der Straße für eine Scheinfirma billige Kosmetika zu Wucherpreisen. Die Mädchen, mit denen sie zusammenarbeitete, schafften alle nebenbei an. Nach kurzer Zeit waren sie eine eingeschworene Gemeinschaft, fast wie eine Familie. Die Mädchen schwärmten von ihrem Zweitjob, und irgendwann war sie neugierig geworden und wollte sich das gern mal ansehen.
    Eine Freundin organisierte mit ihrem Stammkunden und

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