Ein allzu braves Maedchen
einem guten Bekannten ein Abendessen beim Chinesen. Und obwohl sie chinesisches Essen nicht mochte, weil die Chinesen auch Hunde und Affen essen, ging sie mit, um sich die Männer aus der Nähe anzugucken. Die waren nett, luden sie beide ein, und später gingen sie mit ihnen auf ein Hotelzimmer.
Hundert Mark hatte ihr das damals eingebracht. Später gab sie immer einen Teil ihres Verdiensts an Robert, den Chef des Kosmetikunternehmens. Der hatte sich mit ihr in einem Lokal in Flensburg zusammengesetzt, wo sie an der dänischen Grenze Parfüm an Busreisende verhökern sollte, und beschrieb ihr die Gefahren, die in dem neuen Job auf sie lauern würden, bis ins kleinste Detail. Sie fand es schön, dass jemand sich Sorgen um sie machte und auf sie aufpassen würde. Und deshalb hatte sie eingewilligt, pro Freier dreißig Mark an ihn abzugeben. Im Gegenzug würde er passende Männer für sie aussuchen.
Es dämmerte, und in ihrem Zimmer wurde es rasch immer dunkler. Sie wollte nicht an die kommende Nacht denken und versuchte, sich auf ihre Erinnerung zu konzentrieren.
Dummerweise war Robbie ziemlich bald aufgeflogen. Zumindest hatte sie das angenommen, denn die Telefonnummer, die er ihr gegeben hatte, um neue Klientinnen auszumachen, wie er es nannte, existierte plötzlich nicht mehr. Von ihren Freundinnen hatte sie keine Nummern. Das war nicht erlaubt. Von einem Tag auf den anderen war die Verbindung zu ihnen gekappt und sie wieder allein.
Also jobbte sie wieder als Kellnerin in einem Nachtcafé und hatte dadurch gute Kontakte zu zahlungskräftigen Kunden. Mit der Zeit baute sie sich eine Stammklientel auf und wurde häufig weiterempfohlen. Irgendwann hatte sie eine Eigentumswohnung angezahlt und sich rundum versichert. Eigentlich war das Leben in dieser Zeit ganz angenehm gewesen. Zumindest hatte sie genug Geld gehabt, um sorgenfrei zu leben. Und das Geld nahm ihr sogar einen Großteil der Angst, die sie immer begleitet hatte. Es gab ihr das Gefühl, etwas wert zu sein, eine Bedeutung zu haben.
Lange lag sie da und starrte an die Decke ihres Zimmers. Das grünliche Licht machte sie schläfrig.
Warum war sie dann hier?
Während sie darüber nachdachte, dass der Zeitpunkt ihrer Einweisung vielleicht genau der richtige war, bevor sie endgültig seelisch vor die Hunde gegangen wäre, schlief sie ein.
DONNERSTAG
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5
Am 25. November ging bei der Polizeidienststelle Grünwald ein Anruf ein. Einem Anwohner war ein dunkelblauer Mini Cooper aufgefallen, der seit einigen Tagen vor seinem Haus parkte. Bei näherem Hinsehen hatte er erkannt, dass das Auto nicht abgeschlossen war. Der Schlüssel steckte, und unter dem Vordersitz befand sich eine Geldbörse mit dem Ausweis einer jungen Frau. Da er fürchtete, sie sei einem Verbrechen zum Opfer gefallen, hatte er umgehend die Polizei alarmiert.
Das Datum, an dem der Wagen das erste Mal die Aufmerksamkeit des Mannes erregt hatte, stimmte mit dem überein, an dem Wilfried Ott ermordet aufgefunden worden war.
Die Papiere gehörten einer Manuela Scriba, wohnhaft in München, Schleißheimer Straße.
Auf das Klingeln der Polizisten öffnete niemand. Eine Nachbarin sagte aus, sie habe die junge Frau schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesehen. Familie habe sie wohl nicht, und nähere Bekannte habe sie vor der Wohnung auch nie gesehen. Die Frau lebe sehr zurückgezogen. Auf die Frage, ob sie einer Arbeit nachgehe, wusste die Nachbarin keine Antwort.
Das Auto wurde zur Sicherung der Spuren beschlagnahmt.
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»Wenn Sie nicht zu Hause gearbeitet haben und auch nicht in einer Festanstellung, wie haben Sie es dann gemacht?«
Die Psychiaterin saß vor ihr. Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen und sah die junge Frau freundlich an.
Sie antwortete, ohne zu zögern:
»Ich habe einen Deal mit Rosalynn, der Chefin eines kleinen Puffs. Da kann ich nach Absprache ein Zimmer haben. Ich arbeite meistens tagsüber, da sind die Kunden nicht besoffen, und es geht schneller, weil sie wieder zur Arbeit müssen. Ich habe viele Stammkunden, die in der Mittagspause kurz Entspannung suchen. Ich weiß genau, was die brauchen, und kann sie ein bisschen runterholen. Ich bin gewissenhaft, was meine Kunden angeht. Ich will, dass die danach wirklich dankbar sind. Ich will sehen, dass ich was geschafft habe, dann fühle ich mich für einen kurzen Moment unangreifbar. Ich mag das Gefühl, gebraucht zu werden.«
Sie hielt inne und presste die Lippen aufeinander. Dann gab sie sich einen Ruck und fuhr
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