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Ein allzu braves Maedchen

Ein allzu braves Maedchen

Titel: Ein allzu braves Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sawatzki
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Haustür. Wie komme ich hier nur raus?
    Gehe wieder in die Küche und entdecke eine Tür, die in den Garten führt. Ich vergewissere mich, dass die Tiere noch vor der Haustür sitzen, dann öffne ich die Gartentür in der Küche und pfeife kurz. Schon höre ich sie um die Ecke des Hauses preschen, renne zurück, schließe die Küchentür von außen und lausche. Die Hunde stürmen in die Küche, verharren kurz, schnüffeln, bellen, doch dann siegt der Hunger, und sie stürzen sich auf das Futter, das ich ihnen hergerichtet habe.
    Schnell packe ich meinen Mantel und laufe zur Haustür, öffne sie leise und renne über den Rasen zum Tor. Das Schloss ist gesichert, also klettere ich über den mannshohen Zaun und schneide mich an den messerscharfen Spitzen. Aber ich spüre keinen Schmerz mehr.
    Dann stehe ich auf der Straße, und vor mir steht der Mini. Er ist nicht abgeschlossen, der Schlüssel steckt. Ich steige ein und fahre einfach los. Immer der Straße nach. Es ist kalt im Auto, ich finde den Knopf für die Heizung nicht. Ich habe das Gefühl, dass hinter mir jemand sitzt und mich beobachtet. Dauernd drehe ich mich nach hinten um und gucke. Aber da ist nichts. Irgendwann parke ich, ich halte es nicht mehr aus im Auto und laufe los, auf ein Wäldchen zu. Ich erinnere mich noch, dass ein Vogel zwitscherte.«
    Ein kleiner Sonnenstrahl fiel ins Zimmer. Er schien auf die Flusslandschaft an der Wand und tauchte den Strom in goldenes Licht. Die beiden Frauen saßen einander gegenüber und schwiegen. Jede für sich hingen sie den Bildern nach, die diese Erzählung in ihnen ausgelöst hatte.
    »Das ist eine furchtbare Geschichte, die Sie da erlebt haben. Das tut mir sehr leid«, sagte die Therapeutin. »Aber ich werde Ihnen helfen, das alles zu überstehen. Das, was hinter Ihnen liegt, und alles, was jetzt auf Sie zukommen wird.«
    Lange saß die junge Frau reglos da und schien nachzudenken. Dann sagte sie leise: »Ja, ich würde so gern im Sommer noch mal in die Sonne gehen, ohne Angst zu haben.«

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Immer wieder erzählte sie von den Tagen in der Villa. Jedoch schien sie unfähig, im Nachhinein zu erkennen, was Traum und was Wirklichkeit gewesen war. An manchen Tagen behauptete sie steif und fest, den alten Mann gesprochen zu haben. Er sei in Argentinien und habe sie angerufen, um nach dem Verbleib der Hunde zu fragen. Aber das wisse sie natürlich nicht. Da habe sie ihn enttäuschen müssen.
    An anderen Tagen sagte sie, sie habe Ausgang gehabt und sei am Grab ihres Vaters gewesen. Dummerweise sei das nur nachts möglich gewesen, aber da sie den Weg gut kenne, habe sie auch im Dunkeln hingefunden. Sie sei dann über die Friedhofsmauer geklettert, habe sein Grab aufgesucht und sich daraufgelegt, um ihrem Vater ganz nah zu sein. Sie habe dann seine Stimme vernommen. Von weit unten. So hätte sie die Nacht verbracht und sei sich jetzt sicher, dass er ihr irgendwann verzeihen werde.
    »Was soll er Ihnen verzeihen? Sie haben mehr geleistet, als man von einem Kind verlangen kann«, sagte die Ärztin. Als die junge Frau nicht reagierte, fügte sie hinzu: »Sie waren damals ein Kind. Sie waren zehn Jahre alt, als Sie sich um ihn kümmern mussten. Sie waren ein kleines Mädchen und mit der Situation restlos überfordert. Selbst Erwachsene wären dieser Aufgabe nicht gewachsen.«
    Tränen liefen der jungen Frau übers Gesicht. »Ich dachte mein ganzes Leben lang, ich sei so stark, mich würde nichts mehr in die Knie zwingen. Ich wollte das alles hinter mir lassen und nur nach vorn sehen. Eine andere sein. Ich habe mich immer gehasst. Weil nur ich weiß, wer ich wirklich bin. Nur ich weiß das. Ich ertrage mich nicht mehr.«
    Jetzt weinte sie hemmungslos. Sie umarmte ihren Oberkörper, wie sie es so oft tat, wiegte ihn sanft vor und zurück, während sie den Kopf nach hinten warf. Der Ton, der sich ihrer Kehle entrang, klang wie der Schrei eines sterbenden Tieres. Die Psychiaterin musste sich beherrschen, um nicht aufzustehen und ihre junge Patientin in den Arm zu nehmen.
    Nach einiger Zeit beruhigte Manuela Scriba sich. »Mein Vater war nur ein Auslöser. Ich habe das schon vorher gemacht, dass ich Lebewesen misshandelt habe. Schon bevor wir zu ihm gezogen sind.« Sie schaute auf ihre Flusslandschaft und sah aus, als ließe sie sich forttragen in ihre frühesten Kindheitserinnerungen.
    »Den Pudel meiner Tagesmutter habe ich verhauen, als die in den Ferien waren. Mit einem Scheuerlappen. Er wollte nicht fressen, und ich

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