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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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schon wieder auf.»
    Alle schauten unentwegt auf ihre Uhren. Marthalers Nervosität wuchs. Er spürte, wie sich sein Magen verkrampfte.
    Um kurz nach halb sieben ging er wieder zum Lautsprecherwagen und setzte sich auf den Fahrersitz. Er drehte das Radio an und
     schaltete es gleich wieder aus, als er die gut gelaunte Stimme des Moderators hörte. Dann schaute er rüber zu dem Pulk der
     Journalisten. Sie hatten der Presse nichts von der bevorstehenden Aktion mitgeteilt, trotzdem schienen die Reporter gemerkt
     zu haben, dass auch ihr Arbeitstag gleich wieder beginnen würde. Sie brachten ihre Kameras und Mikrophone bereits in Stellung.
    Um 6.45   Uhr klingelte Marthalers Handy. Es war Eissler. Die Stimme des Polizeipräsidenten klang frisch.
    «Es ist so weit», sagte er. «Das SEK ist bereit. Machen Sie Ihre Durchsage. Wenn ich in fünf Minuten nichts von Ihnen gehört
     habe, fliegt unser Helikopter los.»
    Marthaler wollte noch etwas erwidern, aber Eissler hatte schon wieder aufgelegt. Er nahm das Mikrophon und schaltete |365| es ein. Der Lautsprecher gab einen schrillen Ton von sich. Marthaler räusperte sich ein letztes Mal, dann begann er zu sprechen.
    «Hendrik Plöger, hier spricht die Polizei. Ich wiederhole: Hier spricht die Polizei. Sie haben jetzt die letzte Möglichkeit,
     den Turm zu verlassen und sich zu ergeben. Geben Sie uns ein Zeichen. Sollten wir in vier Minuten nichts von Ihnen gehört
     haben, werden wir den Turm stürmen. Sie haben noch knapp vier Minuten.»
    Marthaler legte das Mikrophon auf den Beifahrersitz und schaute auf den Sekundenzeiger seiner Uhr. Bei den Journalisten war
     jetzt hektische Betriebsamkeit ausgebrochen. Man hörte Rufe, das Schlagen von Autotüren und gezischte Befehle.
    «Noch drei Minuten.» Marthalers Herz schlug schneller. Er schaute rüber zum Aufgang des Turms. Liebmann und Döring hatten
     ihre Waffen gezogen. Sie sahen hoch zur Aussichtsplattform, wo sich noch immer nichts regte.
    «Hendrik Plöger, ergeben Sie sich! Sie haben noch zwei Minuten.» Marthalers Stimme zitterte. Seine Hände waren feucht, er
     wischte sie an den Hosenbeinen ab. Er beugte sich weit nach vorn, um die Spitze des Goetheturms sehen zu können. Noch immer
     hoffte er, dass Plöger ihnen in letzter Minute ein Signal geben würde. Er hatte gerade das Mikrophon wieder aufgenommen, als
     er meinte, auf der Aussichtsplattform eine Bewegung wahrzunehmen.
    Dann erschien Plögers Kopf.
    «Verdammt, was macht der denn?» Es war Manfred Petersens Stimme.
    Plöger hatte ein Bein über die Holzbrüstung gelegt. Jetzt stemmte er sich hoch.
    Marthaler ließ das Mikrophon fallen, sprang aus dem Lautsprecherwagen und lief zum Turm. Er legte seinen Kopf in |366| den Nacken und formte die Hände zu einem Trichter, den er an den Mund hielt.
    «Nein, Plöger, nein!», schrie er.
    Plöger saß jetzt auf der Brüstung. 43   Meter über dem Erdboden. Die Journalisten schrien aufgeregt durcheinander. Hendrik Plöger breitete seine Arme aus.
    Für einen kurzen Moment verstummten alle Rufe. Marthaler meinte, in der Ferne bereits das Knattern des Helikopters zu hören.
    Dann sprang Plöger. Mit einem langen, gellenden Schrei fiel er in die Tiefe. Marthaler wandte sich ab. Er hörte, wie Plögers
     Körper ein paar Meter weiter zwischen den Koniferen aufschlug.
    Im selben Moment wusste Marthaler, dass er dieses Geräusch nie wieder vergessen würde.

|367| Siebenunddreißig
    Als sie sich am frühen Mittag im Großen Saal des Polizeipräsidiums am Platz der Republik versammelten, sah man den Angehörigen
     der Mordkommission an, was sie in den letzten vierundzwanzig Stunden durchgemacht hatten. Alle waren übernächtigt, und jeder
     versuchte auf seine Art mit den Ereignissen umzugehen. Kai Döring stand am offenen Fenster und rauchte. Sven Liebmann saß
     auf einem Stuhl, hatte die Beine weit von sich gestreckt und die Augen geschlossen. Kerstin Henschel und Manfred Petersen
     standen schweigend neben der Eingangstür und hatten jeder einen Becher Kaffee in der Hand.
    Marthaler hatte sich nach Plögers Sprung sofort von Petersen nach Hause fahren lassen. Er hatte gewusst, dass es am Goetheturm
     nichts mehr für ihn zu tun gab. Ohne einen Kommentar abzugeben, hatte er sich durch die Gruppen der wartenden Reporter geschoben.
     In seiner Wohnung angekommen, war er geradewegs ins Bad gegangen und hatte sich eine Stunde lang in die Wanne gelegt. Auf
     Terezas besorgte Fragen hatte er nur einsilbig geantwortet. Sie

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