Ein allzu schönes Mädchen
der auf seine Frau wartete,
die gerade ihre Einkäufe erledigte.
An der Hauptwache bog er nach rechts und lief zum Eschenheimer Turm und von dort die Schillerstraße zurück Richtung Biebergasse.
Einmal glaubte er sie vierzig, fünfzig Meter vor sich zu sehen. Er lief der Frau nach. Sie blieb vor einem Schuhgeschäft stehen
und betrachtete die Auslagen. Er näherte sich ihr von hinten, schob die rechte Hand unter sein Jackett, um seine Waffe zu
ziehen, als die Frau ihn bemerkte. Sie hatte sein Spiegelbild im Schaufenster gesehen. Sie drehte sich um, sah ihn verwundert
an, und erst jetzt erkannte er seinen Irrtum.
Er durchquerte das Erdgeschoss der Buchhandlung Hugendubel, grüßte eine der Verkäuferinnen, die er vom Sehen kannte, |421| gab zu verstehen, dass er es eilig hatte, und gelangte auf der anderen Seite des Ladens wieder ins Freie. Dann über den Rossmarkt
und kurz darauf links in die Bleidenstraße.
Dann sah er sie. Auf dem Liebfrauenberg saß sie an einem der Tische vor dem Café. Neben ihr ein Mann, Anfang vierzig, kurz
geschnittenes dunkles Haar, grauer Anzug, offenes, freundliches Gesicht. Sie lachte, dann senkte sie kurz den Blick, als ob
sie sich schäme.
Marthaler ging in Deckung. Er drückte sich in den Eingang eines Geschäftes und tat, als würde er sich die Regenschirme im
Schaufenster ansehen.
Was die beiden sprachen, konnte er nicht verstehen. Offensichtlich hatten sie einander gerade erst kennen gelernt. Sie spielten
das Spiel. Marie-Louise Geissler nahm ihre Tasse, hob sie an, hielt inne, legte den Kopf ein wenig schief, sprach ein paar
Worte, nippte an ihrem Kaffee, stellte die Tasse wieder ab und lächelte. Der Mann lächelte ebenfalls. Dann hob er die Hand,
winkte dem Kellner und zog seine Brieftasche hervor. Während ihr Begleiter zahlte, schaute Marie-Louise Geissler versonnen
in die Ferne. Der Mann schien sie etwas zu fragen. Sie wiegte den Kopf, schob sich eine Strähne hinters Ohr, war unentschlossen
oder tat nur so. Wieder bewegte der Mann die Lippen, schaute sie treuherzig an. Schließlich nickte sie.
Sie standen auf. Er bot ihr seinen Arm. Sie hakte sich unter. Sie schlenderten zwischen den Häusern hindurch, nahmen ein paar
Stufen und bogen unvermittelt ab zur Kleinmarkthalle, deren Eingang nur wenige Meter entfernt lag. Marthaler beeilte sich,
ihnen zu folgen, stieß aber an der Tür mit einer alten Frau zusammen, deren Einkauf zu Boden fiel und die ihm fluchend etwas
nachrief, als er keine Anstalten machte, ihr zu helfen.
Als er den Innenraum der Markthalle erreichte, waren Marie-Louise |422| Geissler und ihr Begleiter bereits im Gewühl zwischen den Ständen verschwunden. Marthaler überlegte kurz. Er hatte nur eine
Chance, die beiden wieder zu finden. Er musste auf den Balkon, der sich über die gesamte Längsseite des Gebäudes erstreckte
und den man über eine Treppe am anderen Ende der Halle erreichte. Er lief vorbei an den Wurst- und Fleischständen zu seiner
Rechten, achtete nicht auf die Beschwerden der müßig schlendernden Kunden, die er unsanft beiseite schob, hastete die Stufen
hinauf und bezog Stellung am Geländer in der Mitte des Balkons, wo er das gesamte Untergeschoss überblicken konnte.
Marthaler kannte die Händler, die hier oben ihre Kojen hatten, war ein gern gesehener Kunde, der zwar nicht häufig, aber über
die Jahre immer wieder mal eine Entenbrust, mal einen Rehrücken oder eine frische Gänseleber kaufte, die man nirgends sonst
in der Stadt in so guter Qualität bekam. Als der italienische Feinkosthändler hinter ihm seinen Stand verließ, um ein paar
Worte mit ihm zu wechseln, wollte Marthaler ihn bereits zurückweisen, überlegte es sich aber im letzten Moment anders. Ein
bessere Tarnung als eine scheinbar harmlose Plauderei konnte er sich gar nicht wünschen. Während er die Halle mit seinen Blicken
systematisch von einem zum anderen Ende absuchte, erklärte er dem Feinkosthändler, was er hier tat, und bat ihn, ebenfalls
Ausschau zu halten nach einer auffallend attraktiven jungen Frau in einem grauen Kostüm.
Tatsächlich war es der Italiener, der Marie-Louise Geissler kurz darauf entdeckte. Gemeinsam mit ihrem Begleiter stand sie
vor der Theke eines Händlers, der frisches Brot, unzählige Sorten Käse und ein paar ausgesuchte Süßweine verkaufte. Sie nahmen
von den Probierhäppchen, die man ihnen anbot, nippten an kleinen Weingläsern und wirkten wie ein ganz und gar argloses
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