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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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Brücke entfernte.
    Der Wagen musste bereits dort gestanden haben, als er vor weniger als zwei Minuten die Stelle passiert hatte.
    Er hatte es nicht bemerkt.
    Einen Moment lang schwankte er zwischen Furcht und Neugier. Aber wer auch immer in dem Auto gesessen haben mochte, er war
     jetzt fort und konnte ihm nicht mehr gefährlich werden. Und von einem Haufen aus Blättern und Zweigen hatte er wohl auch nichts
     zu befürchten. Er suchte sich einen Ast und ging auf die Erhebung zu. Er stocherte in dem |55| Laub, bis er auf Widerstand stieß, dann schob er die Blätter mit dem Fuß beiseite.
    Er zuckte zurück. Das Blut wich ihm aus dem Gesicht. Er merkte, wie ihm schwindelig wurde; er taumelte.
    Und schaffte es gerade noch, sich an einem Baumstamm abzustützen, dann musste er sich übergeben.
     
    Marthaler war guter Laune. Er hatte sich von der neuen Bedienung im «Lesecafé» ein Stück Heidelbeertorte mit Sahne bringen
     lassen, hatte Tereza zu einer Tasse Cappuccino eingeladen, ein wenig mit ihr geplaudert und dabei erfahren, dass sie Tschechin
     war, dass sie Kunstgeschichte studierte und sich besonders für die Selbstporträts Francisco de Goyas interessierte, weshalb
     es ihr größter Wunsch war, für ein oder zwei Semester nach Madrid zu gehen. Sie war erst seit wenigen Tagen in der Stadt,
     wohnte im Zimmer einer Freundin, die gerade in Urlaub gefahren war, und hatte für diese Freundin auch die Urlaubsvertretung
     im Café übernehmen können.
    Schließlich hatte Marthaler die Montagsmagazine durchgeblättert, sodann aus lauter Übermut ein weiteres Stück Torte gegessen
     und sich endlich, bevor noch die ersten regulären Gäste gekommen waren, mit einem großzügigen Trinkgeld verabschiedet. Einen
     Augenblick lang hatte er überlegt, Tereza zu fragen, ob sie auch morgen wieder Dienst habe, hatte sich dann aber doch nicht
     getraut. Schließlich war sie es, die ihm nachrief: «Tschüs   … und vielleicht ja bis morgen?» Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, hatte er sich noch einmal umgedreht.
    Durch die Scheibe hatte er gesehen, dass Tereza ihm nachwinkte.
    Marthaler fühlte sich leicht und zugleich auf angenehme Weise erschöpft. Er beschloss, zurück in seine Wohnung zu gehen, sich
     noch ein wenig ins Bett zu legen und vielleicht eine |56| Weile zu schlafen. Er ging zum Diesterwegplatz, fuhr mit der langen Rolltreppe in die B-Ebene des Südbahnhofs und gelangte auf der anderen Seite der Mörfelder Landstraße auf den Großen Hasenpfad, der steil bis auf den
     Lerchesberg anstieg und an dessen Ende er wohnte. Als er vor der Haustür ankam und den Schlüssel aus der Tasche zog, war er
     ein wenig außer Puste. Er stieg die zwei Stockwerke hoch, und schon im Treppenflur hörte er sein Telefon läuten. Ohne sich
     zu beeilen, schloss er die Wohnungstür auf, ging ins Wohnzimmer, nahm den Hörer ab und sagte: «Es ist niemand da.»
    «Mann, Marthaler, wo stecken Sie denn, verdammt nochmal, Sie müssen sofort herkommen.»
    «Guten Morgen, Chef», sagte Marthaler, «ich habe Urlaub.»
    «Schon gut, ich weiß», bellte Herrmann, «ich würde Sie nicht anrufen, wenn es nicht wichtig wäre. Sie wissen doch selbst,
     was hier los ist, seit bekannt ist, dass der amerikanische Präsident in die Stadt kommt. Allein heute Nacht hat es drei Bombendrohungen
     gegeben. Es sind alle Leute im Einsatz, oder meinen Sie, sonst würde ich selbst hier draußen im Stadtwald mit den Füßen im
     Schlamm   …»
    «Was ist denn überhaupt passiert?»
    Aber Herrmann antwortete nicht auf seine Frage. «Entschuldigung, was haben Sie gesagt?»
    «Nichts», antwortete Marthaler, «sagen Sie mir, wo ich hinkommen soll.»
    Herrmann setzte an, ihm den Weg zu erklären.
    «Warten Sie», sagte Marthaler, «ich hole mir einen Stift und Papier.»
    «Vergessen Sie es», erwiderte Herrmann ungeduldig, «ich schicke jemanden, der Sie abholt.»
    Kaum eine Viertelstunde später klingelte es an der Tür. Marthaler schaute aus dem Fenster. Auf der Straße stand ein |57| Polizeimotorrad. Der Fahrer hatte den Helm abgenommen und sah zu ihm hoch. Marthaler winkte, dann streckte er Daumen und Zeigefinger
     aus, zum Zeichen, dass er noch zwei Minuten brauche.
    Als er auf die Straße kam, fragte er wieder, was eigentlich los sei. Aber der Fahrer zuckte nur mit den Schultern. Er kam
     selbst gerade aus dem Präsidium.
    «Keine Ahnung», sagte er und reichte Marthaler einen zweiten Helm, den dieser sich mit einiger Mühe über den Kopf stülpte.
    

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