Ein allzu schönes Mädchen
den Schlüssel zweimal herum.
Dann setzte er sich in seinen Wagen. Er würde es nicht melden. Er würde sich keiner stundenlangen Vernehmung unterziehen und
kein Protokoll unterschreiben. Er würde so tun, als sei nichts geschehen. Er lächelte. Wenn man ihn irgendwann fragte, würde
er behaupten, dass zum Zeitpunkt, als er das Haus kontrollierte, noch alles in Ordnung gewesen sei. Er machte einen Haken
auf seiner Liste. Er startete den Motor und fuhr los. Es kam ihm vor, als habe er zum ersten Mal in seinem Leben einen mutigen
Entschluss gefasst. Morgen früh würde er seine Kur antreten.
|102| Neun
Als Robert Marthaler zum zweiten Mal an diesem Tag in das Kellerverlies der Kriminaltechnik hinabstieg, war er gespannt, was
Carlos Sabato ihm mitzuteilen hatte. Die Stimme des schwergewichtigen Naturwissenschaftlers, der bekannt dafür war, dass er
sich so leicht durch nichts aus der Ruhe bringen ließ, hatte aufgeregt geklungen. «Kannst du sofort kommen? Ich muss dir etwas
zeigen, ich habe etwas entdeckt», hatte er gesagt, aber mehr am Telefon nicht verraten wollen.
Als Marthaler sich jetzt dem Labor näherte, winkte der andere ihn ungeduldig heran. «Wo bleibst du denn? Du schnaufst ja wie
ein Walross. Hier, sieh dir das an.»
«Was ist das?»
Sabato pickte mit einer Pinzette einen rötlichen Fetzen Papier von der Glasplatte auf seinem Labortisch und hielt ihn Marthaler
vors Gesicht.
«Schwierig zu erkennen», sagte Sabato, «aber ich nehme an, es handelt sich um eine Tankquittung.»
«Wo hast du die her?»
«Sie befand sich in der rechten Hosentasche des Opfers. Das Papier war zerknüllt und blutdurchtränkt, sodass man kaum etwas
entziffern konnte. Ich habe versucht, das Blut ein wenig auszuwaschen.»
«7. August 2000», las Marthaler, «das war gestern. Und hier steht auch die Uhrzeit: 15 Uhr 32.»
«Hab ich’s nicht gesagt? Man muss nur den Chef kochen lassen, dann kommen die Gäste auf ihre Kosten.»
«Nur, was nützt uns das, wenn wir nicht wissen, wo die Quittung ausgestellt wurde. Der obere Teil ist abgerissen.»
|103| «Abwarten», sagte Sabato, «wenn wir Glück haben, gibt es gleich noch einen Nachschlag.»
Er pickte mit seiner Pinzette einen weiteren Fetzen Papier aus der Lösungsflüssigkeit, drehte einen altertümlich aussehenden
Heizlüfter an und hielt den Zettel in den warmen Luftstrom. Dann schaltete er eine große beleuchtete Leselupe ein, legte das
Papier darunter und begann, es ausgiebig zu studieren. Marthaler konnte seine Ungeduld kaum beherrschen. «Was ist? Darf ich
auch mal schauen?»
Sabato ließ sich Zeit. Dann schnippte er mit den Fingern und sah Marthaler an. «Wenn der Herr Kommissar vielleicht mitschreiben
wollen: Die Tankstelle heißt Schwarzmoor und liegt an der B 3 nördlich von Karlsruhe. Alles da, was du brauchst. Adresse,
Telefonnummer, Faxnummer und sogar ein E-Mail -Anschluss. Nur der Name des Toten steht nicht drauf.»
«Mann o Mann», sagte Marthaler, «das könnte was sein. Du bist wirklich ein Schatz.»
«Erzähl das meiner Frau», erwiderte Sabato.
«Fragt sich nur, ob sich jemand von den Angestellten der Tankstelle an unser Opfer erinnert.»
Marthaler fasste in die Innentasche seines Jacketts und stellte fest, dass er sein Handy im Büro liegen gelassen hatte. Als
er Sabato bitten wollte, dessen Telefon benutzen zu dürfen, hielt der ihm bereits den Hörer hin.
Marthaler tippte die Nummer seines Abteilungsleiters in den Apparat und wartete. Als Herrmann sich meldete, startete Marthaler
seinen Angriff. «Chef, ich wollte mich nur abmelden. Ich bin dann ab morgen früh im Urlaub. Die Unterlagen zu dem Mord im
Wald lege ich Ihnen auf den Schreibtisch.»
Sabato schaute Marthaler fragend an, dann schaltete er den Lautsprecher des Telefons ein, um mithören zu können. Herrmann
schrie.
|104| «Sind Sie wahnsinnig, Sie können doch jetzt nicht so mir nichts, dir nichts verschwinden. Sie müssen …»
«Nicht in diesem Ton, Chef. Und müssen muss ich gar nichts. Mein Urlaub ist angemeldet und genehmigt.»
Herrmann schwieg einen Moment. Sabato schaute Marthaler an und grinste.
«Hören Sie, Marthaler», sagte Herrmann, jetzt schon wesentlich kleinlauter, «ich flehe Sie an. Lassen Sie mich bitte jetzt
nicht im Stich. Wenn wir diese Sache hinter uns haben, tue ich Ihnen jeden Gefallen.»
«Nein, Chef, nicht, wenn wir die Sache hinter uns haben, sondern jetzt. Wenn Sie wollen, dass ich den Fall weiter
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