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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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stellte sich an den Straßenrand und wartete. Über seinen Kopf flog ein Schwarm schreiender Elstern hinweg. Trotz
     ihres schönen Gefieders hatte er diese Vögel nie gemocht. Sie waren ihm immer dreist und zänkisch vorgekommen. Dann aber hatte
     er vor ein paar Wochen den Zeitungsartikel eines Ornithologen gelesen, der den Elstern eine große Intelligenz zusprach. Sie
     wurden mit Schimpansen und Delphinen verglichen. Offensichtlich, hatte Marthaler gedacht, kann man nicht nur gegenüber bestimmten
     Menschen seine Vorurteile pflegen, sondern auch gegenüber Tieren. Und immer liegt es daran, dass man zu wenig weiß.
    Er sah Manfred Petersen schon von weitem. Er stellte sich auf den Seitenstreifen und winkte. Als Petersen neben ihm hielt,
     gab Marthaler ihm ein Zeichen, dass er den Motor ausstellen und seinen Helm abnehmen solle.
    «Was ist passiert?»
    «Ein Kollege der berittenen Polizei, mit dem ich befreundet bin, hat mich vor einer guten Stunde zu Hause angerufen. Ich hatte
     ihm von unseren Ermittlungen erzählt. Auch, dass wir diesen grünen Fiat Spider suchen. Er sagte, er sei gerade auf seinem
     Streifenritt durch den Stadtwald und habe eine Entdeckung gemacht. In einem der kleinen Seen liege ein grünes Auto. Mehr wusste
     er selbst noch nicht.»
    «Wo?»
    «Im Kesselbruchweiher. Ungefähr anderthalb Kilometer vom Fundort der Leiche entfernt. Es kann sich natürlich um einen Irrtum
     handeln. Vielleicht ist es ein anderer Wagen. Aber ich dachte, es sei besser, dir gleich Bescheid zu sagen.»
    «Sind die Taucher und ein Bergungsfahrzeug angefordert worden?», fragte Marthaler.
    |219| Petersen schüttelte den Kopf. «Nein, ich habe dem Kollegen gesagt, er soll warten, bis wir uns wieder melden.»
    Marthaler rief in der Zentrale an und gab die Anweisungen durch.
    «Es ist unser Wagen», sagte Marthaler. «Da bin ich mir ganz sicher. Lass uns losfahren.»
     
    Der Kesselbruchweiher befand sich in jenem Abschnitt des Stadtwaldes, der wie ein riesiges Dreieck von der Darmstädter Landstraße
     auf der einen und von der Babenhäuser Landstraße auf der anderen Seite begrenzt wurde. Im Süden verlief die Autobahn 3, von
     der sie jetzt den morgendlichen Verkehr hörten. Gleich dahinter begann das Stadtgebiet von Neu-Isenburg. Marthaler erinnerte
     sich, dass er sich in diesem Teil des Waldes vor Jahren einmal während eines Spazierganges verlaufen hatte.
    Sie stiegen von Petersens Motorrad und begrüßten den Kollegen von der Reiterstaffel. Er hieß Carsten Berger. Er hatte sein
     Pferd angebunden, saß auf einer Bank und aß gerade sein Frühstücksbrot. Sofort, als Marthaler den Mann sah, musste er an eine
     Zeichnung des Don Quijote denken, die den Umschlag seiner Kinderausgabe geziert hatte. Carsten Berger war ein hagerer Riese
     mit unendlich langen Armen und Beinen. Allerdings ein Riese mit hellblonden, fast farblosen Haaren und einer blassen, von
     zahllosen Sommersprossen übersäten Haut.
    Marthaler ließ sich die Stelle im See zeigen, wo das Auto lag. Er hatte Mühe, etwas zu erkennen. Auf der Wasseroberfläche
     schwammen Blätter und Zweige, und das Sonnenlicht warf helle Reflexe. Erst als er seine Position am Ufer um ein paar Meter
     verändert hatte, bemerkte er, dass das Wasser dort, wo Carsten Berger hingezeigt hatte, eine etwas andere Färbung hatte. Er
     kniff die Augen zusammen. Dann nickte er.
    |220| «Könnte es sein, dass der Wagen bereits seit einigen Tagen in dem See liegt, ohne von jemandem bemerkt worden zu sein?», fragte
     er.
    «Gut möglich», sagte Berger.
    «Die Frage ist, wie das Auto dort hineingekommen ist. War es ein Unfall, oder ist es mit Absicht in dem Weiher versenkt worden?»
    Petersen schaute ihn an.
    Und Marthaler wurde im selben Moment bewusst, dass er sich mit dem, was er soeben gesagt hatte, um die entscheidende Frage
     herumgedrückt hatte. Die Frage war: Was würde sie erwarten, wenn der Wagen in Kürze geborgen worden war? Würde er leer sein?
     Oder mussten sie damit rechnen, im Inneren des Fahrzeugs ein weiteres Opfer zu finden? Marthaler wehrte sich gegen den Gedanken.
     Er setzte sich neben Carsten Berger auf die Bank. Er merkte, dass er Hunger bekam. Ihm fehlte das Frühstück, vor allem aber
     sein doppelter Espresso. Instinktiv tastete er nach seinen Zigaretten, eine Gewohnheit, die er längst überwunden zu haben
     glaubte. Er zog das Päckchen hervor. Petersen und Berger wechselten einen Blick. Erst da fiel ihm ein, dass er im Wald nicht
     rauchen durfte.

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