Ein Alptraum für Dollar
recht. Ich habe Ihnen in Rio nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ihre Konzerte sollen nicht in der Oper stattfinden... und... übrigens... es handelt sich auch nicht um sechs Konzerte, wie ich Ihnen damals sagte, sondern um ein einziges Konzert.«
»Ein einziges Konzert?! 20 000 Dollar für ein einziges Konzert! Das gibt’s einfach nicht! Raus mit der Sprache! Was geht hier vor! Was wird von mir erwartet? Was soll ich tun für 20 000 Dollar!? Ich verlange eine Erklärung!«
»Herr Lazzio, bitte beruhigen Sie sich. Sie sollen nur singen! Singen und sonst gar nichts! Hier, schauen Sie, ich habe eine Liste der Arien zusammengestellt, die wir gerne von Ihnen hören möchten... sie stehen alle in Ihrem Repertoire.«
Dem berühmten Baß der MET verschlägt es die Stimme. Er weiß nicht mehr ein und aus. Träumt er etwa? Die Fistelstimme holt ihn aber gleich in die Wirklichkeit zurück:
»Herr Lazzio, hier wie versprochen, die zweite Hälfte der Gage — 10 000 Dollar. Nehmen Sie! Ich hole Sie morgen abend um 20 Uhr ab.«
Die ganze Nacht hat Lazzio kein Auge zugetan. 20 000 Dollar für ein einziges Konzert! Nicht einmal Caruso hat jemals so viel geboten bekommen. Da muß etwas dahinter stecken. Aber was? Bestimmt ist er in eine Falle gegangen. Aber wie sollte er jetzt Manaos verlassen? Zum ersten Mal in seinem Leben verspürt er richtig Angst, eine lähmende Angst. Doch schließlich reißt er sich wieder zusammen, denkt an seinen guten Stern und ergibt sich — resigniert — seinem mysteriösen Schicksal. Um 20 Uhr hält ein großer, amerikanischer Straßenkreuzer vor dem Hotel. Der wortkarge Impresario sitzt am Steuer, allein im Wagen. Lazzio steigt ein und zwingt sich zur Ruhe. Der Wagen fährt leise durch die menschenleeren Straßen von Manaos und verläßt bald die Stadt. Die Vegetation wird dichter.
»Aber wir fahren ja in den Wald!«
»Ja. Wir werden bald da sein.«
Daraufhin verstummt der Fahrer wieder.
Das Auto fährt jetzt auf einem holprigen Weg. Nirgendwo auf der Welt ist die Nacht so dunkel wie mitten im Dschungel! Nirgendwo auf der Welt ist es so finster, so gespenstisch still. Giuseppe Lazzio bedauert es immer mehr, sich für 20 000 Dollar zu diesem Abenteuer verführt haben zu lassen! Er muß verrückt gewesen sein, es ist wirklich der reinste Wahnsinn! Von wegen ein Konzert! Mitten im Urwald Amazoniens! Nein, er glaubt jetzt nicht mehr daran. Er ist das Opfer einer Entführung wahrscheinlich! Irgendeine politische Sache oder so etwas Ähnliches. Genau, das wird es sein: eine Entführung!
In dem Augenblick, als der Kloß in seiner Kehle ihn zu ersticken droht, hält der Wagen. Freundlich, die Ruhe in Person, lächelt der Impresario:
»Hier ist es!«
Im fahlen Licht der Scheinwerfer entdeckt Lazzio eine ziemlich große Holzbaracke — sehr hoch und sehr breit. Lazzio schöpft wieder Hoffnung. Wie ein Ertrinkender hält er sich an diesen Strohhalm: Es ist alles ganz einfach! Hier, nicht sehr weit von der Stadt entfernt, wird eben eine neue Oper gebaut — im Urwald! Und dort soll er singen...
Die beiden Männer steigen aus, der Impresario klopft an die Baracke. Eine Tür öffnet sich — sie schlüpfen hinein. Man kann nichts erkennen — nirgendwo brennt Licht. Sie tasten sich durch ein enges Labyrinth von Gängen und Treppchen — noch eine Tür, und dahinter Kulissen! Wie bei einem richtigen Theater, nur vielleicht ein wenig kleiner, dunkler, unheimlicher, aber es sind Kulissen ! Noch eine Treppe, noch eine Tür, und jetzt steht er auf einer Bühne ! Eine wirkliche Bühne, grell von Scheinwerfern beleuchtet — und in der Mitte... ein Konzertflügel. Der rote Vorhang zum Saal ist noch herabgelassen, genau wie vor allen Konzerten auf der ganzen Welt.
Ein weißhaariger Mann im tadellosen Smoking kommt auf ihn zu.
Der Impresario stellt vor: »Ihr Begleiter, Herr Lazzio. Ich führe Sie jetzt in Ihre Garderobe. Können wir in zehn Minuten beginnen?« Während dieser zehn Minuten versucht Giuseppe sich zu konzentrieren, aber er ist viel zu verwirrt, um auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Er fühlt sich wie in eine andere Welt versetzt, jenseits aller Logik. Nur soviel ist ihm klar: In wenigen Minuten wird er in einer riesigen Holzbaracke mitten im Dschungel, irgendwo in Amazonien, singen. Ein verrücktes Konzert! Für wen eigentlich? Vor welchem Publikum soll er singen? Wer hat 20 000 Dollar für diese absurde Vorstellung ausgegeben?
»Herr Lazzio? Sie sind bereit?«
Es ist soweit.
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