Ein Alptraum für Dollar
Brasilien. Nicht mehr zu heiß, angenehm mild. Giuseppe Lazzio ist Amerikaner, wenn auch natürlich, wie es sein Name verrät, italienischer Herkunft. Und er ist der berühmteste Baß der Metropolitan Opera in New York. Nur noch vier Konzerte, und seine Tournee durch Brasilien ist beendet. Mit Genuß schlürft er auf seiner Terrasse einen erfrischenden Orangensaft. Wie schön das Leben ist! Giuseppe ist 40 Jahre alt. Er hat sich noch nie so wohl in seiner Haut gefühlt wie gerade jetzt. Die Brasilientournee war ein einziger Erfolg. Manche Kritiker sprachen sogar von einem Triumph. Wochenlang ist der Opernstar überall empfangen worden, und alle Welt war reizend zu ihm — ganz besonders die Frauen. Welch ein aufregendes Land! Leider geht die Tournee in vier Tagen zu Ende, aber Giuseppe hat beschlossen, länger dazubleiben — zwei Wochen Urlaub, endlich. Und er ist fest entschlossen, diese wohlverdiente Freizeit auszunützen. Er wird sich ins Vergnügen stürzen. In der Tat, das Leben meint es wirklich gut mit ihm.
Es klopft an der Tür. Etwas verärgert taucht Giuseppe Lazzio aus seiner Träumerei auf und öffnet. Ein kleiner, braungebrannter Mann steht vor ihm mit einer schwarzen Mappe unterm Arm. Er wirkt schüchtern, ja fast ängstlich: »Herr Lazzio? Würden Sie mir gestatten... Ich möchte nur ganz kurz mit Ihnen reden. Es dauert bestimmt nicht lange!«
Giuseppe stellt keine Fragen, und mit einladender Geste bittet er den Mann einzutreten. Im Grunde genommen liebt er unvorhergesehene Ereignisse. Das gehört zu seiner Natur. Er hat immer seinem guten Stern vertraut und ist damit auch immer gut gefahren. Doch dieses Mal wird ihn das Unvorhergesehene weit, sehr weit führen! Der unangemeldete Besucher sitzt nun auf der Kante eines dicken, bequemen Sessels und beginnt sehr umständlich, sein Anliegen vorzutragen. Der Sänger hört zuerst gar nicht richtig zu, ihm fällt besonders die schrille Stimme auf. Unangenehm, falsche Stimmlage — denkt sich der Fachmann.
»Darf ich mich vorstellen? Paulo de Simao. Ich bin Impresario, und ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«
Giuseppe unterbricht ihn sofort mit einer resoluten Handbewegung:
»Ich bedauere! Ich bin in der nächsten Zeit völlig ausgebucht!«
Der kleine Mann im dunkelblauen Anzug wagt ein sehr höfliches Lächeln:
»Herr Lazzio, wenn ich richtig unterrichtet bin, so haben Sie vor, nach dem letzten Konzert zwei Wochen Urlaub in unserem schönen Land zu verbringen. Ein wenig Zeit haben Sie also doch, und die Tournee, für die ich Sie gewinnen möchte, würde gar nicht lange dauern. Es blieben Ihnen bestimmt noch genügend freie, ungestörte Tage danach.«
Der Künstler betrachtet aufmerksam seinen Besucher. Woher kennt der denn seine Pläne so genau? Auf einmal spürt er ein undefinierbares Unbehagen. Paulo de Simao fährt fort mit seiner Fistelstimme: »Ich vertrete die Oper von Manaos. Wir möchten Sie für sechs Konzerte einladen. Wir bieten Ihnen dafür eine Gage von 20 000 Dollar!«
20 000 Dollar! Eine unvorstellbare Summe! Mehr als doppelt so viel, wie Lazzio bei seiner ganzen Tournee durch Brasilien verdient hat. Die Gedanken des Sängers überschlagen sich. Manaos? Der Impresario sprach tatsächlich von... Manaos, der berüchtigten Hauptstadt von Amazonien?! Aber jeder weiß doch, daß Manaos heute — 1947 — nahezu verlassen ist, ein Opfer der Kautschuk-Krise! Wie sollte ihm die Oper dieser ruinierten Stadt mehr bieten können als alle reichen Städte ganz Brasiliens zusammen? Als hätte er seine Gedanken erraten, sagt der kleine Mann mit Nachdruck:
»Nein, Herr Lazzio, es ist kein Scherz! Ich kann es Ihnen auch gleich beweisen. Wenn Sie mir jetzt, auch nur mündlich, versprechen zu kommen, ja, dann erhalten Sie sofort die Hälfte der Gage.«
Daraufhin greift er zu seiner Brieftasche und holt ein dickes Bündel grüner Scheine hervor. Giuseppe Lazzio starrt fasziniert auf die 10 000 Dollar! Dem Geld hat er noch nie widerstehen können. Wie sollte er ein solches Angebot ablehnen?
»Na gut. Ich bin einverstanden!«
»Ich wußte, daß Sie kommen würden! In vier Tagen werde ich Sie also abholen.«
Der Impresario legt die 10 000 Dollar auf den Tisch, steht auf und geht zur Tür. Er zögert aber noch einen Augenblick:
»Herr Lazzio, eine kleine Bedingung gibt es doch bei unserem Vertrag. Was auch immer geschieht, Sie dürfen keine Fragen stellen!«
»Aber, warum?«
»Keine Fragen, Herr Lazzio, keinerlei Fragen.«
Vier Tage
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