Ein Alptraum für Dollar
Giuseppe Lazzio begibt sich zur Bühne, der Begleiter sitzt schon am Flügel. Der Vorhang hebt sich ganz langsam und leise und der Saal erscheint — oder vielmehr, er erscheint nicht ! Der Saal ist völlig ins Dunkel getaucht. Und als der Star des Abends endlich vor dem Publikum steht, da bleibt es völlig still! Normalerweise rauscht in diesem Augenblick der Beifall. Hier aber herrscht Stille. Bedrückende Stille. Ist der Saal etwa leer? Bekam er 20 000 Dollar, um vor... niemandem zu singen? Wie die Dinge bisher gelaufen sind, wäre ja alles möglich! Aber nein, es sind doch Leute da. Giuseppe kennt die typischen Geräusche eines erwartungsvollen Publikums — das Knarren von Sitzen, das Rascheln von Kleidern, das vereinzelte Räuspern. Es scheinen sogar ziemlich viele Personen da zu sein — einige Hundert auf alle Fälle. Nur, was sind das für Leute? Warum wollen sie ihn ausgerechnet im Urwald singen hören? Und warum applaudieren sie nicht, diese... diese Geister, die sich nicht zu erkennen geben?
Der Pianist setzt ein und spielt resolut die »Verleumdungsarie« aus dem »Barbier von Sevilla«. Giuseppe
Lazzio beginnt zu singen, jedoch ziemlich zaghaft, unsicher wie noch nie zuvor. Auch am Ende der ersten Arie — kein Applaus, kein einziger Ton. Mit hängenden Armen steht der sonst so um jubelte Opernstar da wie eine Marionette auf der Bühne. Er hat das Gefühl, vor Richtern oder Lehrern zu singen, wie zu der Zeit, als er noch auf dem Konservatorium studierte. Aber eines ist sicher: Das geisterhafte Publikum hört ihm zu, und es schätzt ihn. Seit er Konzerte gibt, kann er diese Art von Stille gut beurteilen. Ohne Frage, dies hier ist eine inbrünstige Stille, ein stiller tosender Applaus.
Giuseppe Lazzio holt sein Taschentuch heraus. Der Schweiß läuft ihm übers Gesicht. Die Hitze ist unerträglich. Aber ganz eigenartig — seine Furcht ist verschwunden. Mehr noch. Der Kontakt zu seinem unsichtbaren, stummen Publikum ist ganz eng. Und auf einmal hat er den Wunsch, sich selber zu übertreffen.
Der Pianist beginnt mit der nächsten Arie. Giuseppe singt. Er singt sein ganzes Programm, eine Arie nach der anderen — und dazwischen immer dieselbe Stille. Aber jetzt kümmert er sich nicht mehr darum. Er hat nur den einen Gedanken — er muß sein Bestes geben.
Nach anderthalb Stunden fällt lautlos der Vorhang. Es ist vorbei. Der Impresario stürzt auf ihn zu. Zum ersten Mal empfindet Giuseppe seine Stimme nicht mehr so unangenehm. Der kleine Mann ist unendlich dankbar und sichtlich bewegt. Er drückt ihm lange die Hände:
»Danke, Herr Lazzio! Danke! Sie waren wundervoll, danke!«
Giuseppe stellt übrigens auch jetzt keine Frage. Er ist zerschlagen vor Müdigkeit, von den unheimlichen Ereignissen des Tages. Und merkwürdigerweise hat er jetzt auch kein Bedürfnis mehr, das Geheimnis zu ergründen. Gleich nach dem Konzert wird Herr Lazzio nach Manaos zurückgefahren, und am nächsten Tag fliegt er wieder nach Rio.
Erst viel später hat er die unglaubliche Wahrheit erfahren. Als er einem befreundeten, brasilianischen Arzt sein Abenteuer erzählte, erstarrte dieser und murmelte nur: »Es ist also wahr.«
Und der Arzt erklärte weiter:
»Ich habe gehört, daß es ungefähr zwanzig Kilometer von Manaos entfernt ein Dorf gibt, das niemand betreten darf. Es ist ein Lepradorf. Ja, mein Freund, Sie haben für Leprakranke gesungen.«
Lange hielt Giuseppe seinen Kopf in den Händen und dachte nach.
»Aber warum, warum diese ganze Inszenierung! Der falsche Impresario? Warum die 20 000 Dollar?«
»Nun, der falsche Impresario war vermutlich ein echter Millionär. Vielleicht ein Philanthrop... wer weiß, vielleicht kannte er jemanden im Publikum, der ihm sehr teuer war?«
Ich bin schuldig
Dallas, 12. März 1959: Zwei Polizisten führen gerade einen Mann in Handschellen durch die langen, überfüllten Gänge des Reviers. Er sieht ganz anders aus als die üblichen kleinen Delinquenten aller Art, die hier Tag und Nacht in den Vorzimmern Schlange stehen. Auch macht er nicht den Eindruck eines Schwerverbrechers, eines gefährlichen Gangsters.
Der Mann ist etwa 40 Jahre alt, sehr korrekt gekleidet, und gibt sich äußerst gelassen, ja — er scheint sogar zufrieden zu sein. Ruhigen Schrittes marschiert er zwischen den zwei Polizeibeamten, und wären diese nicht durch ihre Uniformen als solche zu erkennen, könnte man denken, irgendein Chef der oberen Etagen würde die beiden abführen. Der Schein trügt.
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