Ein Alptraum für Dollar
steigt Edmond Resnay in Canberra in ein Flugzeug Richtung Europa. Ein langer Flug! Mit Zwischenlandungen in Hongkong, Bombay und London. Dort wartet die Anschlußmaschine nach Paris. Mit einem Taxi rast er vom Flughafen Orly zum Gare de l’Est, springt in den nächsten Bummelzug, der ihn gemütlich zu dem Stück Land seiner Ahnen fährt. Nach einer Reise von achtundvierzig Stunden kommt der 36jährige Auswanderer endlich in seinem Geburtsdorf an — völlig erschöpft. Die Zeitverschiebung, die Aufregung und bestimmt auch eine gewisse Angst haben ihn so durcheinandergebracht, daß er auf einmal dasteht wie ein begossener Pudel.
Sein Reisegepäck ist sehr leicht, aber vielleicht kostbarer als Gold! Einige Bilder: seine junge, englische Frau, die er bald nach seiner Ankunft in Australien geheiratet hat, sein erstgeborener Sohn, seine zwei Töchter.
Im Laufe der Jahre hat er all diese Photos seiner Mutter geschickt, mit langen, lieben Briefen, in denen er von seinem Glück und von seinem Erfolg erzählt hatte. Die Bäuerin hat sie immer und immer wieder gelesen — ganz heimlich! Und versteckte sie in einer alten Kuchenschachtel. Aber Alfred, der »Unerbittliche«, hat selbstverständlich im ganzen Haus herumgeschnüffelt, bis er die Schachtel gefunden hatte. Er weiß alles über seinen Sohn, seine Schwiegertochter und seine drei Enkelkinder. Aber die gute Elise war klug und hat immer so getan, als ob sie nichts gemerkt hätte. Ihr Alfred hätte es niemals zugegeben!
Als Edmond auf dem winzigen Bahnhof ankommt, hat der Bauer schon zweimal auf die Gendarmen geschossen — von seinem Schlafzimmer aus, im ersten Stock. Dort hat er sich verbarrikadiert. Durch das Fernglas sehen die Gendarmen das drohende Auge des Gewehrs zwischen den Fensterläden. Alfred ist ein ausgezeichneter Schütze. Die Wildschweine der Gegend können ein Lied davon singen!
»Er hat mit Absicht daneben geschossen! Um uns einen Schrecken einzujagen. Den kenn’ ich gut, den alten Alfred!«
Trotzdem. Niemand kann voraussagen, wie weit ein Mann in seinem Zustand gehen kann. Dreimal hat Elise versucht, zum Haus zu gehen — jedesmal hat er gebrüllt: »Hau ab! Keinen Schritt weiter, sonst steck ich die ganze Bude in Flammen!«
Auch Elise kennt ihn gut. Er meint es bitterernst. Und so hält sie die Gendarmen, den Notar, den Bürgermeister, die Nachbarn und auch die Journalisten zurück, die hier ein neues sensationelles »Bauern-Drama« wittern und sich mit ihren Photoapparaten um das Haus schleichen wollen wie gierige Wölfe um einen Stall. Seit Tagen versucht Elise alle zu beruhigen:
»Es wird alles wieder gut, man muß ihn nur in Ruhe lassen, man darf seinen Stolz nicht verletzen. Ich bin sicher, sobald er Edmond sieht, wird alles gut.«
Aber die Bäuerin ist gar nicht so sehr überzeugt davon. Auch wenn Edmond auf Knien um Verzeihung bittet, ja selbst wenn er verspricht, für immer hierzubleiben. Und wenn sie ihrem Sohn telegraphiert hat, dann nur, weil sie sich nicht mehr zu helfen wußte. Sie macht sich keine großen Hoffnungen.
Auf alle Fälle, Edmond mußte kommen! Vor seiner Abreise hat der Sohn das Geld überwiesen. Jetzt, in diesem Augenblick, ist er der neue Besitzer, und der Gerichtsvollzieher ist ohne Trinkgeld gegangen. Das Land der Familie Resnay wurde von einem Resnay zurückgekauft. Es ist alles in bester Ordnung. Das heißt — es könnte es sein. Aber der alte Bauer will es nicht wissen. Er hat es nicht einmal erfahren, denn seit fünf Tagen hat er niemandem erlaubt, seine »Erde« zu betreten — er hat alle mit seinem Gewehr verjagt. Aber er ahnt bestimmt, daß Edmond auf dem Weg zu ihm ist. Und er wartet auf ihn. Nur... leider mit einem Gewehr! Und deswegen bleibt es vorläufig noch ein Fall für die Gendarmerie.
Am Bahnhof wartet ein Wagen auf Edmond. Mit dem Bürgermeister fährt er so schnell es geht auf den schmalen Landstraßen. Er hatte vergessen, wie klein und eng die Landschaft seiner Kindheit ist, wie viele Bäume und winzige Häuser hier auf jedem Quadratkilometer stehen! Bei ihm zu Hause — in Australien — erstreckt sich das weite, menschenleere Land bis zum Horizont. In den Ardennen, entlang der belgisch-französischen Grenze, stößt das Auge auf einen Kirchturm, auf einen Hügel, auf eine Holzbrücke, auf niedrige Mauern, die die Felder und Wiesen schön voneinander abtrennen. Jetzt kommt der Brunnen, der Dorfplatz mit dem Rathaus, wo er eingeschult wurde. Rechts abbiegen und nur noch drei Kilometer hinauf
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