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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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völlige Unparteilichkeit, sonst heißt es, ich mische mich ein … Dabei weiß ich genau, dass mir keine Erzählung so gut gefallen wird wie die Ihre. Ach, Mr Weston, es ist eine schreckliche Verantwortung», jammerte sie.
    Vance betrachtete sie neugierig. Er beobachtete ihre ruhelosen, wachsamen Augen unter der schmalen, gerunzelten Stirn. («Als spähten sie aus dem Gefängnis heraus und erwögen die Fluchtchancen.») Der Gedanke gefiel ihm, und er musste sich zu einer Antwort aufraffen:«Sie meinen, es sei eine Verantwortung, den Preis zu vergeben? Das tun Sie doch nicht, oder? Ich dachte, es gibt ein Komitee.»
    « Natürlich, natürlich, aber das ist es ja. Wenn jemand argwöhnt, ich würde versuchen, das Komitee zu beeinflussen … dabei bewundere ich glühend, was Sie geschrieben haben!»Sie schwankte wieder auf ihn zu und hüllte ihn ein in ein goldenes Netz aus Lächeln und Funkeln und vertraulich gemurmelten Gemeinplätzen, die die Spatzen von den Dächern hätten pfeifen dürfen – was für eine Last ihr Geld sei, wie dringend sie Mitgefühl brauche, wie wenige Menschen es gebe, mit denen sie so reden könne wie mit ihm, wie sie schon bei den ersten Zeilen von«Nicht abgeholt»das Gefühl gehabt habe, hier verstehe sie endlich jemand, und wie sie seine Heldin darum beneide, dass sie, auch wenn es sie den letzten Penny kostete und sie dafür hungern musste, sie selbst sein, ihre Liebe offen verkünden und dem Mann ein Denkmal bauen konnte, der nie erfahren hatte, dass sie ihn liebte.«Wie Sie die Frauen kennen!», murmelte sie, schwankte, starrte und sank wieder zurück.«Wie um alles in der Welt konnten Sie ahnen …? Einige Freundinnen sagten, Ihre Tullia sei mein leibhaftiges Abbild … Aber ich sollte hier nicht darüber reden. Wollen Sie mich nicht einmal besuchen? Ja, das wäre besser. Ich bin so allein, Mr Weston – ich brauche so dringend Rat und Ermutigung! Manchmal wünsche ich mir, ich hätte mich nie auf diese Sache mit dem Preis eingelassen, aber Reichtum verpflichtet ja schließlich, nicht wahr?»
    Sie hatte lange so dahergeplappert, wenn auch nicht lange genug, um seine Neugier zu stillen, als sie plötzlich zusammenschrak.« Oh, ich darf Sie nicht länger mit Beschlag belegen … Da drüben steht Fynes und starrt zu uns herüber!», rief sie beunruhigt.« Er ist im Komitee, wissen Sie. Er geht nie auf Abendgesellschaften – auf konventionelle, meine ich. Er ist gewiss nur hergekommen, um Sie in Augenschein zu nehmen.»Sie erhob sich nervös.
    « Tristram Fynes? Der den ‹Laden an der Ecke› geschrieben hat?», fiel ihr Vance erschrocken und aufgeregt ins Wort.
    « Ja, da drüben. Der langweilige kleine Mann an der Tür. Sie halten sicher viel von ihm?»
    « Es ist ein wichtiges Buch.»
    « Ja, sicher, aber die Leute darin sind so schrecklich gefühllos. Sie werden mich vielleicht altmodisch nennen, aber ich finde, unsere Romanciers sollten uns nicht alle Hoffnung, allen Glauben nehmen … Aber nun kommen Sie, die Gäste warten schon und wollen mit Ihnen sprechen. Fynes merkt es und mag das gar nicht. Oh, hoffentlich habe ich Ihnen nicht alle Aussichten auf den Preis verdorben!»Sie streckte ihm die Hand hin.«Sie werden mich doch besuchen? Ja, immer um sechs Uhr abends. Wollen Sie gleich morgen kommen?», fragte sie drängend und zog ihn hinter sich durchs Zimmer.
    Vance folgte ihr, ließ den kleinen, nichtssagenden Mann an der Tür aber nicht aus den Augen. Von den vielen jüngst erschienenen Romanen, die er verschlungen hatte, waren ihm wenige wirklich bedeutend vorgekommen, und von denen war ‹Der Laden an der Ecke› bei Weitem der bedeutendste. Unter Dutzenden von banalen Büchern, die durch Reklame zu fragwürdigem Ruhm gelangt waren, war es das einzige, das so viel Aufsehen verdiente. Leser im ganzen Land spürten seine offenkundige Aufrichtigkeit, und der Titel war zu einer sprichwörtlichen Umschreibung für die Kleinstadtatmosphäre geworden. Vance war nicht ganz zufrieden damit, er fand, der Schriftsteller habe tiefere Aspekte des Themas vernachlässigt; wenn er selbst fähig gewesen wäre, ein solches Buch zu schreiben, hätte er es anders geschrieben. Aber es war unerschrocken, ehrlich und außergewöhnlich lebendig; und diese Eigenschaften hielt Vance für grundlegend und hätte sie sehnlichst gern selbst besessen.« Stellen Sie Ihre Personen erst einmal auf die Füße», hatte ihm Frenside einst eingeschärft,«danach bleibt immer noch Zeit, zu berichten, wo sie

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