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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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hingehen.»Wenn sich Tristram Fynes nur zu der Bemerkung hinreißen ließe, in«Nicht abgeholt»stünden die Menschen auf ihren Füßen!
    Vance’ Herz pochte heftig, als Mrs Pulsifer vor dem großen Mann stehen blieb. Wenn sich nun wirklich herausstellte, dass Fynes«Nicht abgeholt»gelesen hatte und deshalb hier war!
    « Oh, Mr Fynes, welche Überraschung! Ich wusste nicht, dass Sie sich jemals herablassen … Aber nein, Sie dürfen noch nicht gehen – nicht bevor ich Sie mit Mr Weston bekannt gemacht habe! Vance Weston, ja, der ‹Nicht abgeholt› geschrieben hat. Er würde zu gern mit Ihnen reden …»
    Mr Fynes zusammengekniffener Mund klappte auf.«Über den ‹Laden an der Ecke›? Tja, es gibt immer noch viel zu sagen, was noch nicht gesagt wurde», antwortete er lebhaft und blickte Vance an.«Sie sind einer der neuen Kritiker, nicht wahr? Sie sind der Autor der Kolumne ‹Die Kokospalme› in der ‹Neuen Stunde›? Ja, ich glaube, ich habe kürzlich etwas von Ihnen gelesen. Hier ist natürlich nicht der richtige Ort für ein ernsthaftes Gespräch, aber ich würde mich freuen, wenn Sie demnächst einmal vorbeikämen, damit ich Ihnen klarmachen kann, welche Aussagen ich über den ‹Laden an der Ecke› wünsche. So wäre es am besten. Es ist ein wichtiges Buch, kein Zweifel. Aber ich möchte, dass den Leuten gesagt wird, warum es wichtig ist. Kommen Sie doch morgen vorbei, ja? Ich muss jetzt gehen …»
    Er verschwand, und Vance stand wie benommen da. Aber nicht lange. Andere beanspruchten seine Aufmerksamkeit, Gäste, die nicht über sich selbst, sondern über«Nicht abgeholt»reden wollten. Der Raum war nicht besonders voll, wahrscheinlich waren nicht mehr als dreißig Gäste in der Bibliothek und im angrenzenden Speisezimmer, in das man auf der Suche nach Sandwiches und Cocktails hinüberwanderte. Entweder kamen die Leute mit den Erfrischungen in der Hand zurück, oder sie blieben noch eine Weile am Esstisch sitzen. Doch für Vance war das alles so neu, dass ihm schien, er befände sich in einer dicht gedrängten Menge, und die Tatsache, dass er hier kein Beobachter war, sondern der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und Neugier, berauschte und erregte ihn wie seine erste Muschelschale Champagner.
    Diese ungezwungenen, liebenswürdigen Leute wollten ihn kennenlernen und mit ihm reden, weil er«Nicht abgeholt»geschrieben hatte, einige sogar wegen seiner anderen Geschichte, der alten Sache, die Tarrant in einer früheren Nummer ausfindig gemacht hatte und noch einmal zu veröffentlichen erwog; sie wollten von ihm wissen, was er sonst noch geschrieben habe, was er jetzt tue, wann er mit einem Roman anfange, wann er genügend Kurzgeschichten für einen Sammelband zusammen habe, ob er sich in letzter Zeit neue Themen ausgedacht habe, ob er leichter in der Großstadt oder in seiner ruhigen Umgebung zu Hause schreiben könne, ob er sich von der Natur inspirieren lasse oder Menschen als Stimulans um sich brauche, um welche Uhrzeit er am besten arbeiten könne, ob er sich zwingen könne, täglich so und so viele Stunden zu arbeiten, ob er nicht finde, dass regelmäßige Arbeit zur Routine führe, ob er nicht finde, dass ein wahrer Künstler immer tun müsse, wonach ihm der Sinn stehe (diese Frage kam von einigen jüngeren Frauen), und ob er diktieren könne oder seine Sachen selbst tippen müsse …
    Vance hatte sich noch nie so vielen aufregenden und anregenden Fragen gegenübergesehen. Anfangs versuchte er jede einzelne zu beantworten, so eingehend, wie sie es seiner Meinung nach verdiente, und dabei die neuen Gedanken aufzugreifen, die sich daraus entwickelten, doch kaum sagte er in seinem langsamen, schüchternen, schleppenden Ton:«Na ja, ich glaube, ich bin noch nicht weit genug, um mir richtige Regeln erarbeitet zu haben, aber mir scheint …», oder:«Manchmal habe ich das Gefühl, als brauchte ich eine Menge neuer Gesichter und Bilder, um in Gang zu kommen, und dann wieder … », so merkte er, dass der Fragende entweder das Interesse verloren hatte oder nach einer Benimmregel, die Vance unbekannt war, anderen Gästen mit anderen Rätseln glaubte weichen zu müssen. So kam es, dass er bald das ganze Spalier abgeschritten hatte und schließlich an einem kleinen Tisch im Esszimmer gierig Cocktails kippte und Foie gras verschlang, endlich von vertrauten Gesichtern umgeben – als wäre er durch eine fröhlich aufgewühlte See an eine Küste geschwommen, wo ihn alte Freunde erwarteten. Frenside war da,

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