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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Wahrscheinlich war sie nicht zu Hause; aber dann konnte er schriftlich hinterlassen, dass er da gewesen war … Er erreichte die Straße, suchte die Hausnummer und fand ein beeindruckendes, breites Gebäude, wie er sie auf seinen Wanderungen durch die Stadt oft bestaunt hatte, ohne je auf den Gedanken zu kommen, er selbst könne so ein Haus betreten. Er läutete, und als sei er erwartet worden, flog sofort die schwere Doppeltür aus Glas und Schmiedeeisen auf, und ein großer junger Mann in einem dunklen Jackett mit silbernen Knöpfen versperrte die Schwelle.
    Mrs Pulsifer? Nein, die sei nicht da, sagte der junge Mann verwundert, als sei Vance’ Frage zu lächerlich, um beantwortet zu werden. Doch während er sprach, sah Vance ganz hinten, in der Tiefe einer Szenerie aus Marmor, dunklen Läufern und majestätischen Treppenfluchten, eine Gestalt hervorhuschen und zögernd innehalten.«Oh, Mr Weston – das ist doch Mr Weston? Nun ja, eigentlich bin ich wirklich außer Haus … Ich müsste jetzt schon am anderen Ende der Welt sein …»Mrs Pulsifer stand vor ihm, in Pelz gehüllt, und die langen Jadeohrringe ließen ihr Gesicht unter dem knappen kleinen Turban noch schmaler und besorgter wirken.«Aber kommen Sie trotzdem herein – nur für eine Minute, ja?»Sie klang halb bedrückt, halb flehentlich; anscheinend wollte sie, dass er Ja sagte und dennoch nicht vergaß, dass sie allen Grund hatte, verstimmt zu sein.
    Vance sah sich neugierig um; im Augenblick interessierte ihn das Haus mehr als seine Besitzerin.«Gehen Sie einfach nach oben – oder haben Sie etwas dagegen, zu Fuß zu gehen?», fragte sie und deutete damit an, dass es natürlich einen Lift gab. Er folgte ihr über die vielfarbigen Fliesen der Halle zu der breiten Treppe mit dem reich verzierten, vergoldeten Stahlgeländer und oben durch eine weitere Halle in ein prunkvolles Zimmer mit düsteren Wandbehängen voller Figuren, Bäume und Säulengänge. Vance war noch nie in einem so riesigen, prächtigen Haus gewesen, wäre gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass es so etwas geben könnte. Nach dem Raum mit den Gobelins betraten sie einen anderen, dunkel getäfelten mit vielen Gemälden und großen, vergoldeten, lampentragenden Säulen, und schließlich kamen sie in ein kleines, rundes Zimmer mit Treibhausblumen in Porzellanvasen, noch mehr Bildern, Büchern und tiefen, ausladenden, mit taubenblauer Seide bezogenen Sesseln.
    Vance starrte fasziniert auf all das.«Wohnen Sie hier ganz allein?», fragte er.
    Sie warf ihm einen verwunderten Blick zu.«Ob ich …? Aber natürlich, ja. Was für eine Frage! Was haben Sie denn gedacht?»
    « Ich dachte, man hätte das Haus vielleicht in einzelne Wohnungen aufgeteilt, es ist so riesig.»
    « Ja, das könnte man», räumte sie seufzend ein.«Manchmal wünschte ich mir, es wäre so. Es ist entsetzlich einsam, so allein hier.»Sie seufzte wieder.«Ich hasse große Häuser, Sie nicht?»
    Sein faszinierter Blick durchmaß noch immer die Zimmerfluchten.« Nein, ich finde sie großartig – wenn sie so sind wie dieses hier … so viel Platz und Höhe und Stille …»
    Sie lachte ein wenig befangen und übernahm sofort seinen Standpunkt.«Oh, es gefällt Ihnen? Das freut mich sehr, denn im Grunde sind diese großen Räume mein Werk. Ich habe darauf bestanden, dass der Architekt meine Ideen ausführt, mir allen Freiraum lässt, den ich haben wollte. Die haben immer so wenig Phantasie.»Der große junge Mann mit den Silberknöpfen erschien, wie lautlos herbeigerufen, sie ließ ihren Pelz auf seinen Arm fallen, sagte:«Ja – Tee, glaube ich, und ich bin für niemanden zu Hause», warf ihren Hut beiseite und sank in einen taubenblauen Sessel. Der große junge Mann schloss die Tür hinter sich und ließ Vance und seine Gastgeberin in einer von Blumenduft erfüllten Abgeschiedenheit allein. Mrs Pulsifer blickte ihren Gast ängstlich an.«Sie waren sicher entsetzt über mein Telegramm.»
    « Entsetzt, nein, warum?»
    « Ich hatte Angst, Sie fänden, ich hätte Sie gar nicht einladen dürfen, dieses leidigen Preises wegen, Sie würden sich Sorgen machen, was die Leute denken … Aber wegen Fynes wollte ich Sie unbedingt sehen. Er hat ja praktisch die entscheidende Stimme, die anderen katzbuckeln nur vor ihm. Und ich wusste, er hat Sie gebeten, ihn zu besuchen, im Zusammenhang mit einem Artikel oder so, und er war sehr eingeschnappt, weil Sie nicht kamen. Ich wollte Sie warnen und bitten, alles zu tun, was er von Ihnen

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