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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Lous Krankheit, und da sein endloses Gekritzel so wenig einbrachte, sollte er ihrer Meinung nach von zu Hause Hilfe bekommen. Doch Vance konnte sich nicht überwinden, um Geld zu bitten, und seine Berichte über Laura Lous Krankheit bewirkten nur mitleidige Briefe von Mutter und Großmutter und gestrickte Bettjäckchen von den Mädchen. Der Vater schrieb, die Zeiten seien schlecht für Immobilien, und erbot sich erneut, ihm nach Möglichkeit eine Stelle beim«Offenen Wort»zu verschaffen, wenn er nach Euphoria zurückkommen wolle. Und damit war die Sache beendet.
    Uneins mit sich selbst, fabrizierte er mühsam einen langweiligen Artikel über«Die neue Lyrik», das Ergebnis wahllosen Blätterns in den Werken der«Cocoanut Tree»-Dichter, aber der Aufsatz stellte weder ihn noch die Dichter zufrieden. Er versuchte einen Plan für«Zaster»zu skizzieren, aber der fiel in sich zusammen. Er hatte zu wenig Ahnung von dieser stürmischen Großstadtwelt, er vermochte sie nur aus dem Blickwinkel anderer zu schildern. Wenn er dort eine Weile leben könnte, wenn ihn jemand wie Mrs Tarrant in die Geheimnisse dieser Stadt einweihen würde, könnte am Ende ein Buch daraus werden, aber alles, was er ohne fremde Hilfe produzierte, war nur aus anderen Büchern entlehnt. Außerdem wollte er niemanden verteufeln oder bloßstellen, wie es die meisten«Gesellschaftsromane»taten; er wollte die Maschine auseinandernehmen und herausfinden, was die Menschen hinter den prächtigen Häuserfassaden im großen Ganzen für eine Rolle spielten. Erst wenn er das verstanden hatte, konnte er über sie schreiben. Er schilderte Eric Rauch seine Schwierigkeiten.«Wenn ich nicht ihre Gedanken denken kann, hat es keinen Sinn», sagte er. Rauch machte ein verdutztes Gesicht und schien der Ansicht, dieses Problem bilde er sich nur ein.«Merkwürdig, dass Sie kein Sujet finden», sagte er, und Vance erwiderte:«Doch, natürlich – es gibt Hunderte, die schwirren nur so herum. Aber es sind alles Sujets, über die ich nicht genügend Bescheid weiß, um sie in Angriff zu nehmen. »
    « Na, ich glaube, Sie befinden sich gerade in einer Flaute», befand Rauch, und damit endete das Gespräch.
    Eines Tages berichtete jemand in Vance’ Gegenwart von einem tragischen Vorfall in der Truppe einer Wanderbühne. Das Malerische daran bemächtigte sich seiner Phantasie, und er versuchte es zum Leben zu erwecken, aber wieder fehlte es ihm an Vertrautheit mit den Umständen, und sein Eifer erlosch. Die Kollegen im«Cocoanut Tree»sprachen viel darüber, wie man sich in ein Sujet einarbeitete, Quellen benutzte und so weiter, aber Vance hatte das dumpfe Gefühl, dass er nicht einfach auf der Suche nach Lokalkolorit losziehen konnte, sondern dass er seine Anregungen auf anderem Weg erhalten musste. Vielleicht würde ein Gespräch mit einem Mann wie Tristram Fynes ihm einen Fingerzeig geben. Er bat Fynes schriftlich um ein Treffen, erhielt aber keine Antwort.
    Mrs Pulsifer hingegen schrieb ihm schon wieder. Sie fragte, warum er nicht mehr erschienen sei, schlug vor, er solle zum Essen kommen, und bot ihm zwei Termine zur Auswahl an. Der Brief traf an einem Tag ein, an dem Vance seine Uhr und seinen Abendanzug zum Pfandleiher gebracht hatte. Er antwortete, er könne nicht mit ihr essen, besuchte sie aber gern einmal nachmittags, und sie setzte per Telegramm den folgenden Tag fest. Als er anlangte, fand er die großen Salons leer, und während er wartete, wanderte er staunend und träumend von einem Zimmer zum andern. Kunst war in seinem Kopf bisher nur als etwas vorgekommen, was nichts mit dem Leben zu tun hatte und für den täglichen Gebrauch ungeeignet war, als etwas Klassifiziertes, Katalogisiertes, in Museen Begrabenes. Hier nahm sie zum ersten Mal atmend Gestalt an, er erkannte ihre Beziehung zum Leben und erhaschte einen flüchtigen Blick auf den Nutzen von Reichtum und Muße – er verstieg sich sogar zu der Annahme, dass es womöglich die Aufgabe einer besonderen Gesellschaftsschicht war, diese Dinge zu besitzen und zu bewahren und zu diesem Zweck isoliert wie eine Priesterkaste zu leben.«Die ausgestopfte Taube auf dem vergoldeten Korb», dachte er. Es war sein altes Symbol für die rätselhafte Nützlichkeit des Nutzlosen … Mrs Pulsifers Ankunft unterbrach seine Grübelei und ließ ihn verwundert spüren, in welchem Missverhältnis die Schätze und ihre Hüterin standen.
    Sie wirkte ängstlich und erregt, zog ihn sofort in das runde Wohnzimmer und warf ihm

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