Ein altes Haus am Hudson River
vors Gesicht hielt.«Um Himmels willen, Vance! Warum seid ihr hier im Dunkeln? Was ist mit meinem Kind los?», rief Mrs Tracy, und Vance stolperte auf die Füße, strich sich das Haar zurück und starrte sie an.
Aber sie hatte keine Zeit, sich mit ihm zu befassen. Im Nu hatte sie die Lampe angezündet, das Feuer wieder in Gang gebracht, Laura Lou ein Thermometer zwischen die Lippen gesteckt und mehr Decken auf sie gelegt.«Was hat sie? Was sagt der Doktor?», fragte sie flüsternd über die Schulter.
« Der Doktor hat noch nichts gesagt.»
« Nichts gesagt? Meinst du damit, er ist noch gar nicht hier gewesen?»
« Nein.»
« Wie lange geht das schon so?»
« Seit gestern Abend.»
« Gestern Abend? Und es war noch kein Arzt da? Wann hast du ihn gebeten zu kommen?»Sie trat näher, ließ ihre Tochter allein, um mit ihrem wütenden Flüstern näher an seinem Ohr zu sein.
« Ich habe ihn nicht holen können. Sie hat mich nicht weggelassen. »
Das vernichtende Zucken um Mrs Tracys Lippen sollte wohl ein Lachen sein.«Es wäre das Beste für sie, wenn du verschwinden und nie mehr wiederkommen würdest. Und jetzt geh», fügte sie verächtlich hinzu,«und hol den Arzt, so schnell du kannst; lass dich hier nicht mehr blicken ohne ihn. Sie hat eine Lungenentzündung. »
Fünf bange Tage verstrichen, bis Vance wieder ans Schreiben oder an die Redaktion denken konnte. Mrs Tracy hatte ihm zu verstehen gegeben, er solle sich lieber an seine Arbeit setzen, sie und Laura Lou könnten ihn nicht brauchen, er bringe nur Unordnung ins Haus und sei nicht hilfreicher als eine Schaufensterpuppe. Aber es erschien ihm als Teil seiner Buße, dazusitzen und solche Vorwürfe über sich ergehen zu lassen. Sie schalt ihn zwar, weil er ihr im Weg war, aber er nahm an, dass es sie erleichterte, jemanden zu haben, den sie beschimpfen und dem sie die Schuld zuschieben konnte; außerdem gab es mitunter doch etwas für ihn zu tun: Kohlen schleppen, Lebensmittel oder Medizin holen – Aufgaben, die kein besonderes Wissen oder Geschick erforderten. Mrs Tracy hatte ja recht, wenn sie ihm die Schuld an Laura Lous Krankheit zuwies. Der Arzt sagte, es sei verrückt von ihm gewesen, sie im Schnee den Berg hinaufzuschleppen und der Nachtluft auszusetzen, als sie vor Müdigkeit schon ganz entkräftet gewesen war. Sie habe ohnehin nicht mehr viel Abwehrkräfte, und der lange Aufstieg habe ihrem Herzen geschadet. Der Arzt nahm Vance beiseite und sagte, so etwas dürfe nie mehr vorkommen, und Vance sah, wie Mrs Tracy sich hämisch über diese Zurechtweisung freute. Nun ja, sollte sie sich freuen, er hatte es verdient.
Während dieser Tage kam es ihm vor, als sei er endlich vom Kind zum erwachsenen Mann geworden. Er war nicht besonders flink, wenn es um praktische Dinge ging, solche Lektionen lernte er langsam, aber diese hier grub sich ihm ein. Wie erschreckend, dass er alles vergessen hatte, als die Schönheit rief, jene überirdische Schönheit, die Himmel und Erde und sein tiefstes Inneres durchwob, und dass er sorglos dieser Stimme hinterhergelaufen war. Wenn so etwas geschah, vermischten sich seine beiden Welten, oder vielmehr verschwand die Welt der alltäglichen Pflichten unter einer überwältigenden Wirklichkeit. Aber dies würde nun nicht mehr passieren. Er würde sich dazu erziehen, die beiden getrennt zu halten.
Als Laura Lou ihn endlich, von Kissen gestützt, wieder ruhig und gelassen ansah, beschloss er, nach New York zu fahren. Er kam mit leeren Händen in die Redaktion, denn er war in der Zwischenzeit nicht imstande gewesen, auch nur eine einzige Zeile zu schreiben. Er hoffte, dies zuerst Eric Rauch erklären zu können, doch Rauch war außer Haus, und man teilte Vance mit, Mr Tarrant erwarte ihn. Rauch war ein zugänglicher, verständnisvoller Mann, sein Chef hingegen war für Vance ein Rätsel. Man wusste nie, ob er einem sein nervöses, strahlendes Lächeln schenken oder ob man vor einem steinernen Gesicht stehen würde. Er begrüßte Vance mit einem Erstaunen, hinter welchem dieser Ironie witterte, und als er von Laura Lous Krankheit erfuhr, äußerte er die angemessenen Empfindungen und kam sofort aufs Geschäft zurück.«Schlimm, schlimm … ja, natürlich … Meine Frau hätte sicher gern etwas getan … Aber jetzt, wo die Sorge überstanden ist, legen Sie sich hoffentlich wieder ordentlich ins Zeug. Wir haben so viel Zeit verloren, dass Sie es uns wirklich schuldig sind», und so weiter. Vance lauschte schweigend. Was sollte
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