Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton

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sich erzählen zu lassen … Was sie eigentlich schon seit einer Stunde tat, fand Vance. Er murmelte, er danke ihr vielmals und würde sich freuen, wenn er wiederkommen und die Bilder noch einmal anschauen dürfe, doch sie erwiderte, wenn er nur kommen wolle, um die Bilder zu sehen, sei er wie alle anderen und mache sich nichts aus ihr, sondern nur aus dem Haus; sie brauche aber einen Freund, der sie auch dann gern hätte, wenn sie in einer Hütte leben würde, aber sie sei wohl nicht klug genug, um die Art von Menschen anzuziehen, die sie anzögen; sie müsse eben das Beste aus dieser schrecklichen Einsamkeit machen, zu der ihr Geld sie verurteilte … Ihre Augen wurden nass, und einen Augenblick lang schien sie ihre Körperlosigkeit zu durchbrechen und ein Mensch zu werden.
    « Oh, sagen Sie das nicht, Sie dürfen nicht …», begann er, setzte seine Tasse ab und rückte näher, aber dabei erblickte er die Uhr hinter ihrer Schulter und rief:«Um Gottes willen, ich muss zum Zug! Entschuldigen Sie … jetzt heißt es laufen …»
    Ihre Miene verwandelte sich, verengte sich zu Misstrauen und Ärger. Warum er ausgerechnet diesen Zug erreichen müsse? Ob es nicht noch genug andere gebe? Sie zwang sich ein Lächeln ab; die Leute kämen immer mit solchen Entschuldigungen, wenn sie sich bei einem langweilten, und vermutlich habe sie ihn gelangweilt, sonst würde er doch bleiben. Vance fiel ein, dass er versprochen hatte, Laura Lou ein neues Stärkungsmittel mitzubringen. Nein, er könne nicht bleiben, sagte er, es fahre erst viel später wieder ein Zug, und er müsse arbeiten.
    « Ach, Ihre Arbeit! Wie ich Menschen mit Arbeit beneide, Arbeit wie der Ihren, meine ich … »Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder sanfter, und sie ließ ihre Hand in der seinen.«Kommen Sie wirklich bald wieder? Nächste Woche? Dann sollen Sie die Bilder ganz für sich haben, ich werde mich verstecken, Sie werden mich gar nicht zu Gesicht bekommen», versicherte sie ihm lachend, und er bedankte sich und floh.
    Als er in Paul’s Landing eintraf, war der ganze Zwischenfall schon ins Unwirkliche verblasst. Gab es solche Häuser, solche Frauen, solche Bilder? Als wichtigster Eindruck blieb ihr Versprechen, er dürfe wiederkommen und sich die Gemälde anschauen …
    Mrs Tracy wartete auf der Schwelle, und er überreichte ihr das Stärkungsmittel mit der Zufriedenheit, die er immer empfand, wenn er einen Auftrag nicht vergessen hatte. Wie es Laura Lou gehe? Hatte sie einen guten Tag verbracht? Ja, ganz gut, sie sei nur ein wenig müde. Er solle lieber nicht nach oben gehen, sie schlafe gerade. Also setzte er sich im Esszimmer an seinen Schreibtisch, den Kopf voll mit Ideen, die er aufschreiben wollte, solange sie noch frisch waren. Doch Mrs Tracy folgte ihm, und nachdem sie die Teller auf dem Esstisch zurechtgerückt hatte, trat sie an seinen Schreibtisch.
    « Es war jemand für dich da», sagte sie.
    « Jemand – wer?»
    « Bunty Hayes.»
    Vance schoss das Blut in den Kopf. Hayes – musste ihm dieser unverfrorene Bursche bis hierher nachlaufen!«Am Ende muss ich es doch noch mit ihm ausfechten», dachte er.
    « Er hat mich schon bis in die Redaktion verfolgt. Er wollte sich mit mir prügeln.»
    Mrs Tracy lächelte kühl.«Heute wollte er sich nicht prügeln. Heute wollte er sein Geld.»
    Vance explodierte vor Wut.«Sein Geld? Ich tu, was ich kann, um es für ihn zu verdienen. Mir wär’s auch recht, wenn es noch schneller ginge.»
    « Das habe ich ihm auch gesagt», pflichtete sie ihm bei, immer noch frostig.
    « Und – ist er dann verschwunden?»
    Mrs Tracy zögerte und wischte ihre abgearbeiteten Hände an der Schürze ab.«Nicht sofort.»
    « Aber was wollte er denn noch?»
    « Laura Lou sehen.»
    « Laura Lou? Dieser unverschämte Kerl!»Vance lachte entrüstet.
    « Er war nicht unverschämt. Es tat ihm leid, dass sie so krank war. Ich habe gemerkt, wie es ihm zugesetzt hat.»
    Vance wusste nichts zu entgegnen. Die Erinnerung an den zerknüllten Brief auf dem Schlafzimmerboden durchfuhr ihn so schmerzhaft wie schon früher.
    « Also, ich muss jetzt arbeiten», sagte er.

27
    Laura Lous Genesung zog sich hin, die Krankheit kostete viel Geld. Als Mrs Tracy sich an Upton wandte, erwiderte dieser, er habe all seine Ersparnisse in ein Ford-Automobil gesteckt und könne derzeit nichts für sie tun. Vance wusste, dass seine Schwiegermutter erwartete, seine Familie werde ihnen unter die Arme greifen. Mrs Tracy gab seinem Leichtsinn die Schuld an Laura