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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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später hatte er tausend Dollar in der Tasche. Er sagte Mrs Tracy, nun habe er genug, um Hayes auszuzahlen, und fragte nach seiner Adresse. Sie gab sie ihm kommentarlos, und Vance, dankbar, dass ihm Erklärungen erspart blieben, kehrte am nächsten Tag nach New York zurück, um seine Schuld zu tilgen. Er hatte keine Ahnung, wovon er die Zinsen für das Darlehen zahlen sollte, aber mit der Leichtfertigkeit des unerfahrenen Schuldners zerbrach er sich darüber nicht den Kopf.
    Die Adresse führte ihn in eine Wohnstraße zu einem schmalen Bürogebäude, an dessen Fassade quer über eines der oberen Stockwerke«Storecraft» 66 geschrieben stand und darunter«Viel Geschmack für wenig Geld». Man führte ihn in ein kleines Zimmer mit Rauputzwänden, einem Gemälde im Stil von Marie Laurencin 67 , schmächtigen Intarsienstühlen und einer versilberten Schaufensterpuppe mit einer Fransenstola. Dort wartete er, bis ihn ein wuschelköpfiges Mädchen in einem sportlichen Kostüm in ein weiter hinten gelegenes Büro brachte, wo Bunty Hayes hinter einem Schreibtisch thronte und gerade einem anderen Mädchen diktierte:«Chanel, sechsmal Modell Engadine, mandelgrün; Vionnet, Doppelbestellung apricotfarbene Charmeuse-Pyjamas …»Er brach ab und saß starr vor Staunen da.« Patou, sechsmal Modell Riviera, pastellblau …», fuhr er automatisch fort, dann sagte er mit veränderter Stimme:«In Ordnung, Gladys, wir machen später weiter.»Das Mädchen verschwand, und er wandte sich Vance zu.«Na, so was, ich hab Sie erst gar nicht erkannt.»
    « Vielleicht haben Sie zu viel zu tun», begann Vance.
    « Nein, aber ich hab mit einem Kollegen gerechnet, der mir einen neuartigen Büstenhalter zeigen wollte. Macht nichts, setzen Sie sich.»Er schob ihm einen Stuhl hin. Er gab sich kurz angebunden und geschäftsmäßig, aber nicht unfreundlich, und Vance wäre wohler gewesen, wenn er ihn zum Teufel gewünscht hätte.
    « Sie haben sich beruflich verändert?», fragte er vorsichtig.
    Bunty Hayes lehnte sich zurück, schwang sich auf seinem Drehstuhl herum, streckte die Beine von sich und stellte eine völlig zerknitterte Hose zur Schau. Er war fülliger geworden, trug eine große gelbe Hornbrille und hatte das Haar sorgfältig pomadisiert.«Tja», sagte er.«Tatsache ist, hier springt mehr raus. Verreisen wollen die Leute nur in den Ferien, aber einkaufen wollen sie das ganze Jahr, und alle wollen in New York einkaufen. Hundertfünfzig Millionen tun das. ‹Storecraft› ist die Antwort darauf. Hier: Kennen Sie schon unsere Karte? Nächstes Jahr ziehen wir in die Fifth Avenue um. Wer Großes vorhat, muss großzügig planen. Das ist mein Motto. Sie wohnen doch in einem Vorort – ja, und wir sind des Pendlers Füllhorn. Bieten ihm alles, was sein Herz begehrt, vom Markteinkauf bis zur Gemäldegalerie. Nächstes Jahr gründen wir einen Kunstverein, dann kaufen wir alte Meister, und Sie müssen nur noch einen Haken in die Wohnzimmerwand schlagen und die Nachbarn einladen.»
    Vance hatte sich nicht hingesetzt. Er zog das Geld heraus und legte es auf den Schreibtisch.«Hier ist das, was wir Ihnen schulden.»
    « Oh, verdammt …», sagte Hayes. Die beiden Männer sahen einander verlegen an. Schließlich nickte Hayes, antwortete:«In Ordnung», und streckte die Hand nach dem Geld aus.«Auf welchen Namen soll ich die Quittung ausstellen?», fragte er, weil er offensichtlich nicht wusste, was er sagen sollte.«Auf den von Mrs Tracy», erwiderte Vance, der mit den Händen in den Hosentaschen am Türrahmen lehnte. Hayes schrieb rasch eine Quittung aus, löschte sie ab und reichte sie Vance.«So, das wär’s», bemerkte er bemüht leger. Vance steckte das Papier in die Tasche. Als er sich umdrehte, um zu gehen, stand Hayes auf und begann verlegen:«Hören Sie …»
    « Ja?»
    « Ich … Ihre Frau war krank, als ich neulich vorbeikam. Das hat mir wirklich leidgetan. Sagen Sie ihr das bitte.»
    « Klar», sagte Vance, nickte und marschierte hinaus. Auf der Treppe wurde ihm plötzlich bewusst, dass er sich wie ein Flegel benommen hatte. Beinahe wäre er umgekehrt und hätte Hayes gesagt – ja, was? Er wusste es nicht. Aber er hatte das dumpfe Gefühl, dass zwischen ihnen noch eine Schuld offenstand, die das Geld nicht hatte tilgen können.

    Er hatte mit Laura Lou nie über Hayes gesprochen. Als er an diesem Abend heimkam und in ihr Zimmer ging, beschloss er, es nachzuholen. Das Zimmer sah freundlich aus. Im Ofen brannte ein Feuer, und auf dem Tisch

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