Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
Vom Netzwerk:
‹Fall›», unterbrach Vance sie trocken.«Ich hatte den Eindruck, Sie hätten mich gern zum Freund, das ist alles.»
    « Das habe ich – das tue ich. Ich meine nur …»Sie hob ihren entsetzten Blick zu ihm.«Wissen Sie, da ist doch der Preis … wenn jemand erfährt, dass … dass Sie zu mir gekommen sind um Hilfe … dass ich …»
    « Ach, zum Teufel mit dem Preis! Entschuldigung, tut mir leid, wenn ich einen Bock geschossen habe. Manchmal sieht der Mensch einen großen Graben vor sich und weiß nicht, wie er drüberkommen soll. Ich bin so ein Mensch und habe gesprochen, ohne nachzudenken.»
    Ihre Augen, die immer noch auf den seinen ruhten, wurden feucht.«Es ist so schrecklich – dass Sie derart in Schwierigkeiten sind. Ich hatte keine Ahnung …»Sie blickte sich um, fast verstohlen, als ob die tüchtigen Mitarbeiter, die sich mit ihren« Fällen»befassten, hinter einem Wandschirm lauschen könnten.« Ich möchte Ihnen wirklich helfen, wenn ich kann», fuhr sie fort, kaum lauter als ein Raunen.«Wenn Sie mir Zeit geben … ich könnte es vielleicht einrichten … aber natürlich muss es absolut unter uns bleiben …»
    Ihre Nöte stimmten ihn versöhnlicher.«Das ist sehr nett von Ihnen. Aber ich glaube, wir sollten nicht mehr darüber reden. Ich war müde und besorgt und hab einfach laut nachgedacht.»
    « Aber es ist nicht in Ordnung, es ist grausam, dass Sie mit Ihrem Genie solche Sorgen haben. Ich verstehe das nicht.»Sie runzelte die Stirn, bemüht, die Gründe zu begreifen.«Ich dachte, es herrscht große Nachfrage nach dem, was Sie schreiben. Haben Sie nicht eine feste Stelle bei der ‹Neuen Stunde›?»
    « Doch. Aber die fangen gerade erst an und können nicht viel zahlen. Außerdem bin ich verpflichtet, ihnen alles zu überlassen, was ich schreibe. Ich wäre ja ganz gut über die Runden gekommen, wenn nicht andere Dinge schiefgegangen wären. Aber ich schaffe es schon irgendwie.»Er streckte ihr die Hand hin.«Sie haben mir sehr geholfen, schon weil ich diese Bilder sehen durfte. Vielen Dank dafür. Auf Wiedersehen.»
    Seine Entschiedenheit schien sich ihr mitzuteilen, und sie stand ebenfalls auf, blass und fast schön unter dem Druck unbekannter Gefühle.«Nein, nein, nicht auf Wiedersehen, ich möchte Ihnen doch helfen – ich möchte, dass Sie mir sagen, was schiefgegangen ist. Ich weiß doch, dass junge Männer manchmal Dummheiten machen.»Sie legte ihm eine juwelengeschmückte Hand auf den Arm – schon ein einziger dieser Ringe hätte ihm seine Freiheit erkauft.
    Vance lachte ungehalten.«Dummheiten? So nennt man das also in Ihren Kreisen, wenn jemand nicht genug Geld zum Leben hat? Schiefgelaufen ist Folgendes: Meine Frau ist schwer krank gewesen – wochenlang. Das ist teuer.»
    Schweigen. Mrs Pulsifers Hand stahl sich davon. Sie trat einen Schritt zurück und wiederholte leise:«Ihre Frau? Wollen Sie damit sagen, dass Sie verheiratet sind?»Vance nickte.
    « Aber ich verstehe nicht. Das haben Sie mir nie gesagt …»
    « Nein? Mag sein.»
    Sie blickte ihn immer noch unsicher an.«Woher sollte ich das wissen? Ich hätte nie gedacht … Sie haben nie davon gesprochen … aber vielleicht deshalb … », stammelte sie, ein merkwürdig hoffnungsvolles Leuchten in den müden Augen,«weil Ihre Ehe – unglücklich ist?»
    Vance wurde dunkelrot.«Um Gottes willen, nein! Unglücklich bin ich nur, weil ich nicht alles für sie tun kann, was ich will.»Später dachte er, dass er Laura Lou nie so geliebt hatte wie in diesem Augenblick.
    « Oh … soso … », hörte er Mrs Pulsifer murmeln und war sich dumpf bewusst, dass das Licht in ihren Augen erlosch.
    « Also, auf Wiedersehen», sagte er noch einmal. Sie schien etwas antworten, ihn mit einer Geste zurückhalten zu wollen, aber ihre verkniffenen Lippen ließen nur ein blasses Echo seines Abschiedsgrußes durch. Es schwebte traurig hinter ihm her, während er durch die endlosen Zimmerfluchten mit all ihrer tapezierten, vergoldeten Leere schritt, hinunter in die Halle, wo der große junge Mann im dunklen Sakko mit den Silberknöpfen zusammen mit einem Zwillingsbruder schon auf ihn wartete, um die Doppeltür aufzureißen. Vance fragte sich spöttisch, ob zu den vielen geheimnisvollen Pflichten der beiden auch die gehörte, Mrs Pulsifers Fälle zu prüfen; aber er wusste, dass zumindest der seine niemals unter die Lupe genommen werden würde.

    Einer der Kollegen im«Cocoanut Tree»nannte ihm den Namen eines Geldverleihers, und ein paar Tage

Weitere Kostenlose Bücher