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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Angelegenheit?», drang er in sie.
    Sie zuckte die Achseln und murmelte:«Das ist eher deine Vorstellung von meiner Vorstellung.»
    « Aha, und wie ist dann deine, falls ich sie missverstanden habe?»
    « Dass die Schuld allein bei uns liegt und wir dafür Sühne leisten sollten.»
    « Sühne!»Er lächelte.«Du klingst wie ein alter russischer Roman …»Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort:«Ich hätte nicht gedacht, dass du eine solche Idealistin bist … Nun, es ist spät geworden», fuhr er fort, stand auf, und ein Ruck ging durch seinen langen Körper.«Ich muss noch ein paar Sachen in meinen Koffer werfen. Vertagen wir diese Diskussion, bis wir an Bord sind.»
    In diesem Augenblick legte sich ein Schleier über Halos Augen.« Lewis!», rief sie.
    Er drehte sich verärgert um, wollte der Sache unbedingt ein Ende setzen, und als beide dastanden und einander ansahen, erkannte Halo mit einem Schlag, wie unermesslich weit sie voneinander entfernt waren – vielleicht immer gewesen waren. Es war, als hätte sie geschlafwandelt und plötzlich, am Rande eines steilen Abgrunds, die Augen aufgeschlagen. Aber was an diesem schäbigen Gezänk warf auf einmal solch ein grelles Licht in diese Tiefen?
    Tarrant stand wartend da. Er wirkte abgespannt, müde, erbost. Es blieb keine Zeit für vernünftige Erklärungen; er hasste Taktlosigkeit, und sie würde jetzt taktlos sein. Doch sprechen musste sie – sprechen, so sagte sie sich, bevor sie sich so weit voneinander entfernt hatten, dass er außer Hörweite war …
    « Bitte?», wiederholte er.
    « Lewis … du wirst es nicht verstehen …»
    « Was verstehen?»
    « Warum ich sage, was ich dir jetzt sagen werde …»
    « Lieber Himmel! Wie unheilschwanger! Was willst du denn sagen?»
    « Unser Gespräch hat mir bewusst gemacht, dass ich eine Weile allein sein will – ohne dich, meine ich …»
    « Oh, ist das alles? In Ordnung. Ich bin schon im Bett», sagte er und unterdrückte ein Gähnen.
    « Das meine ich nicht. Ich meine … ich würde morgen lieber nicht mitfahren.»
    « Nicht mitfahren?»Er fuhr herum und musterte sie ungläubig.« Was soll das denn heißen, um Gottes willen?»
    « Genau das, was ich sage. Ich würde lieber nicht mitfahren.»
    Er lehnte abwartend im Türrahmen. Doch sie sagte nichts weiter, und er brach in das dünne Lachen aus, das oft seinen Wutausbrüchen vorausging.«Darf ich fragen, was dieses Theater soll?»
    Fast ängstlich erwiderte sie seinen Blick. Sie hatte bis zu dem Augenblick, da sie diese Worte geäußert hatte, nicht gewusst, dass sie genau das sagen wollte; aber jetzt begriff sie, dass ihr Innerstes gesprochen hatte, und das Gesagte ließ sich nicht mehr zurücknehmen. Nur – wie sollte sie es erklären?«Weil ich … weil ich gern eine Weile allein sein möchte …»
    « Deshalb fährst du nicht mit?»
    « Ich habe das Gefühl, ich kann nicht …»
    « Das ist doch nicht dein Ernst?»
    « Doch. Ich meine es ernst.»
    Wieder herrschte Schweigen. Sie sah, dass er verwirrt und gekränkt war, dabei aber zu stolz, um mit ihr zu streiten oder sie zu bitten.
    « Oh, na gut – wenn du meinst», murmelte er. Dann, nach einer Pause:«Trotzdem würde ich gern wissen, warum.»
    Sie zögerte, immer noch verstrickt in die hoffnungslose Mühsal, die rechten Worte zu finden.«Weil … ich merke auf einmal, dass wir in manchen Dingen allzu unterschiedlich empfinden, und ich brauche Zeit zum Nachdenken … zum Wegfahren und allein Nachdenken …»
    Tarrants Lippen wurden schmal, und seine kalten Augen schienen näher zusammenzurücken.«Wenn du damit meinst, dass wir unterschiedlich über ein Darlehen für Vance Weston denken, hast du sicher recht. Trotzdem wundere ich mich ein wenig, dass du dir gerade das als Beschwerdegrund aussuchst. Ich hätte gedacht, du weißt, dass ich in der Regel nicht zurückhaltend bin, wenn es ums Geldverleihen geht.»
    Es folgte eine lange Pause. Halo lehnte sich gegen den Sessel, aus dem sie sich erhoben hatte, und ihre Augen, die auf ihrem Mann ruhten, füllten sich mit Tränen. Ihr Groll war im selben Augenblick erloschen, da er es mit seinem Tadel darauf anlegte, ihn zu schüren. Sie hätte alles darum gegeben, wenn er nicht gerade diese Worte geäußert hätte, denn sie entblößten vor ihr jenen Winkel seines Herzens, in dem alter Unmut und Hass lagerten, den Winkel, in den zu schauen sie sich immer geweigert hatte. Doch jetzt, da die Worte ausgesprochen waren, empfand sie nur Mitleid mit ihm – und

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