Ein altes Haus am Hudson River
vorgeschlagenen Bedingungen (ein Drittel Vorschuss, wenn Mr Weston wolle) pochte Vance das Blut in den Schläfen, doch Lambarts Ton änderte sich, als Vance«Zaster»zu skizzieren begann. Ein großer Roman über das moderne New York? Was – noch einer? Verführerisches Thema, das schon, gewaltiges Gemälde – aber davon gab es schon so viele! Dem Publikum hingen Wolkenkratzer, Nigger, Alkoholschmuggler und Schauspielerinnen zum Hals heraus. Und auch Harlem und die Oper, Greenwich Village und der Geldadel. Es wolle etwas Subtileres – etwas, was zu Herzen gehe. Mr Weston merke es doch daran, wie sein eigenes Buch aufgenommen worden sei. Warum nicht nach dem Erfolg von«Anstatt»mit einem zweiten, ganz ähnlichen Roman nachstoßen? Die gewissermaßen altmodischwunderliche Story habe doch allen gefallen. Die New Yorker Szene solle er Leuten wie Fynes überlassen oder diesem Neuling Gratz Blemer; beide könnten nichts anderes, kämen nicht einmal auf die Idee, dass es etwas anderes gab. Dieser Gratz Blemer brauchte dreihunderttausend Wörter für die Geschichte von einem Strichmädchen und einem Schuhputzer, und das nannte er dann«Globus»! Heutzutage hatte man den wirklichen Erdball um einiges schneller umrundet als sich durch dieses Buch gekämpft. Nein, nein, sagte der Verleger, wenn Mr Weston auf ihn hören und seinem reichen Erfahrungsschatz vertrauen würde … Wolle er es wenigstens überdenken? Ein Buch, ganz ähnlich wie«Anstatt», nur ungefähr vierzigtausend Wörter länger. Falls«Anstatt»überhaupt einen Fehler habe, dann seine«Sondergröße», wie das im Textilienhandel heiße. Das Publikum wolle das haben, woran es gewöhnt sei. Und wenn ein Romanautor das Glück gehabt habe, auf etwas Neues zu stoßen, von dem das Publikum angetan war, dann sei es blanker Selbstmord, den Lesern nicht mehr davon zu liefern.
Es war ein seltsames Gefühl für Vance, sich nach so vielen Monaten des Zurückgezogenseins wieder in der harmonischen Atmosphäre der Tarrant’schen Bibliothek zu befinden, wo sich freundliche Gesichter um ihn drängten und Schmeichelei die Luft erfüllte wie ein Schwall von Blütenduft … Es waren weniger Leute da als bei jener früheren Einladung; es gab keine Mrs Pulsifer, keine Damen in Goldbrokat, die ihn erschreckten und faszinierten. Die meisten Männer trugen Straßenanzüge, die wenigen Frauen schlichte, halb durchsichtige Kleider, so wie Mrs Tarrant an dem Abend, als er sie besucht und allein vor dem Kamin angetroffen hatte. Diese Frauen zogen sich so an, wenn sie abends allein zu Hause saßen! Diese Tatsache beeindruckte Vance mehr als aller Brokat und alle Juwelen von Mrs Pulsifer – sie vergrößerte noch den Abstand zwischen der Welt von Mrs Hubbards zweitem Stock und der hier, wo eine Art ruhige Schönheit und Ordnung alltäglicher Bestandteil des Lebens waren.
Vance hatte versucht, Laura Lou zum Mitkommen zu bewegen, war aber keineswegs traurig, als es ihm nicht gelang. Er hatte den katastrophalen Lunch bei den Tarrants nicht vergessen und redete sich ein, dass er nicht mit ansehen wolle, wie seine Frau vor Leuten, die blind für ihre Schönheit waren und nur ihre Unfähigkeit zum Smalltalk wahrnahmen, unvorteilhaft dastand. Aber genau genommen war er nur in ihrer Abwesenheit wirklich er selbst. Kaum war sie mit von der Partie, lauerten zahllose Fallgruben. Vance Weston, der Ehegatte, war ein nervöser, befangener und manchmal trotziger junger Mann, wohingegen der andere, der echte Vance Weston, geneigt war, die Dinge leicht zu nehmen, den Leuten auf halbem Weg entgegenzukommen und sich bei interessanten Themen völlig zu vergessen. Und hier bei den Tarrants schwirrte wie immer die Luft von solchen Themen, und die Atmosphäre war von einer Herzlichkeit erfüllt, die seinen zaudernden Unmut sofort zu Fall brachte.
Er spürte das schon an Tarrants Händedruck unter der Tür. Im Büro war Tarrant Vance ein Rätsel. Nach den Andeutungen über die Schwierigkeiten der«Neuen Stunde»rechnete er damit, im Verhalten seines Gastgebers einen Widerschein davon zu finden, aber diese Leute ließen offenbar bei Geschäftsschluss auch ihre Geschäftssorgen hinter sich; Tarrant war noch nie so brüderlich-freundschaftlich gewesen. Er nahm Vance für einen Augenblick beiseite und sprach mit ihm über das neue Buch («Meine Frau sagt, es sei jetzt wirklich im Entstehen»), dann zog er sich zurück mit den Worten:«Aber die Gäste wollen den Autor von ‹Anstatt› sehen. Kommen Sie mit zu
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