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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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bewusst, dass er drauf und dran war, zu offenbaren, was er doch verbergen wollte.
    « Ich verstehe», murmelte sie leise. Es entstand ein kurzes Schweigen, dann sagte sie:«Es tut mir leid, dass ich etwas Dummes gemacht habe. Sie wissen, ich bin impulsiv und nicht an Förmlichkeiten gewöhnt. Ich habe Laura Lou besucht, weil ich Nachricht von Ihnen beiden haben und vor allem Sie bitten wollte, sich hier mit ein paar Leuten zu treffen, denen Ihr Buch wirklich gefällt und die sich vernünftig mit Ihnen darüber unterhalten wollen. Sie sollten sich öfter mit solchen Menschen treffen – ihnen die Gelegenheit geben, Sie kennenzulernen und mit Ihnen zu reden. Das wäre bestimmt anregend für Sie und gut für Ihre Arbeit.»
    Vance spürte, dass er rot wurde. Es war schwer, auf so schlichte und freundliche Worte feindselig zu antworten. Aber der Hinweis auf die Abendgesellschaft ließ ihn an Laura Lous Groll denken.
    « Danke, aber auch das hat keinen Sinn. Partys, meine ich. Sie taugen nicht für Leute wie uns …»
    Sie antwortete nicht sofort, erst nach einer Weile sagte sie:« Wollen Sie sich nicht setzen, Vance? Ich hatte gehofft, Sie kämen zu einem langen Gespräch …»
    Ohne ihre Bitte zu beachten, erwiderte er:«Ich kam, um Ihnen zu sagen, dass wir Ihnen sehr verbunden sind, weil Sie an uns denken, aber Ihre Bemühungen sind zwecklos – wirklich zwecklos.»
    Sie trat zu ihm und legte ihre Hand auf die seine.«Vance – was ist los? Was ist passiert? Wie können Sie gegenüber einer Freundin von ‹Bemühungen› sprechen? Wenn Sie niemanden sehen wollen, lade ich niemanden ein, aber das ist doch kein Grund, warum Sie und ich nicht manchmal so wie früher miteinander reden sollten. Vielleicht haben Sie unsere Gespräche nicht so sehr vermisst wie ich – vielleicht waren sie für Ihr Leben nicht so wichtig wie für meins?»
    Sie schwieg, und plötzlich riss er die Hände hoch und barg sein Gesicht darin.«Nicht wichtig – nicht wichtig für mein Leben?»
    Er spürte, wie ihre Finger sanft durch die seinen glitten und seine Hände nach unten zogen, sodass sein Gesicht ungeschützt ihrem prüfenden Blick ausgesetzt war und er ihr in die Augen sehen musste.«Nicht wichtig – nicht wichtig?»Er starrte sie durch einen Tränenschleier an.
    « Also doch, Vance? Ich bin so froh. Warum versuchen Sie es zu leugnen? Warum sollen wir nicht einfach dorthin zurückkehren, wo wir früher waren? Sie haben mir doch bestimmt viel über Ihre neuen Pläne zu erzählen …»
    Er entzog ihr seine Hände und verbarg wieder sein Gesicht, bemüht, sein Schluchzen zu unterdrücken. Was dachte sie, was glaubte sie? Aber es war zwecklos, sich gegen jene Woge aus Freude und Qual zu stemmen, die ihn erfasst hatte und schüttelte wie einen jungen Baum im Frühlingssturm. Er stammelte:« Ich bin ein Idiot … Achten Sie nicht auf mich … Ich bin durch die Hölle gegangen … lassen Sie mich nur ein Weilchen hier sitzen, ohne zu reden, bis ich mich wieder an Sie gewöhnt habe …»Stumm ließ sie sich auf ihrem Stuhl nieder und verharrte schweigend, den reglosen Kopf von schummrigem Lampenlicht beschienen.

34
    Erst lange nach Mitternacht drückte er vorsichtig die Tür im zweiten Stock bei Mrs Hubbard auf. Das Licht einer Straßenlaterne schien durch die jalousielosen Fenster und zeigte ihm Laura Lou im Bett, schlafend oder vorgeblich schlafend, und er zog sich so lautlos wie möglich aus und legte sich neben sie. Er kannte sie inzwischen, sie würde ihn erst am nächsten Morgen ausfragen. Er lag da, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, starrte an die Decke mit ihren Rissen und Flecken und durchlebte noch einmal mit fieberhafter Deutlichkeit die Stunden mit Halo Tarrant. Er hatte nicht vor, Laura Lou zu erzählen, wo er gewesen war, das würde ihr nur wehtun. Außerdem würde sie ihm niemals glauben, dass er all diese Stunden nur mit Reden verbracht hatte, mit dem fesselnden, erhellenden, unerschöpflichen Austausch von Vertraulichkeiten und Gedanken. Laura Lou konnte sich nicht vorstellen, was es zu sagen gäbe, das so viel Zeit brauchte … Und Vance konnte es selbst kaum fassen, dass diese Frau, ohne die das Leben so lahm und unvollständig war, diese Frau, die er so vermisst und ersehnt und, wie er meinte, gehasst hatte, sein Ungestüm beruhigt, seinen fiebernden Verstand mit Zauberkraft gezähmt und ihn durch die bloße Magie ihres aufmerksamen Verstehens bei sich festgehalten hatte, bereichert und befriedigt …
    Er hatte ihr alles

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