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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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hatte er bei diesem Resümee den leeren Raum in der Mitte noch ausgelassen, das ungelöste Rätsel seiner Ehe. Er konnte sich heute kaum noch an den Glanz des Glücks erinnern, den Laura Lous Gegenwart ihren ersten Ehetagen verliehen hatte. Er hatte sich eingebildet, dass sie all seine Vorstellungen teilte, dabei war sie nur der Resonanzboden seines jugendlichen Überschwangs gewesen. Jetzt war aller Wahn, alle Verzückung dahin. Wenn er und sie ein eigenes Haus hätten, statt zusammen in einem Zimmer hausen zu müssen, wie oft würde er sie dann noch aufsuchen? Von seinem lodernden Traum war nichts geblieben als kaltes, etwas ungeduldiges Mitleid. Er hatte die dumpfe Vermutung, dass der wahre Zweck der Ehe, das Bedürfnis, das sie trotz aller Widerstände und Spötteleien als Institution aufrechterhielt, das menschliche Urverlangen nach einem Zuhause, nach Kindern, nach einem moralischen Ankerplatz war. Ihm hatte die Ehe nichts davon beschert. Welchen Sinn hatte es, mit einer untätigen, kinderlosen Frau, die er schon lange nicht mehr wahrnahm, obwohl sie immer da war, in einem einzigen Zimmer zu leben? Er verachtete sich selbst, weil er sich der erzwungenen Nähe fügte und ihr das gab, worum ihre leisen Koseworte baten, aber so nachlässig, als wäre sie nur die zufällige Bettgenossin für eine Nacht.
    Er saß auf einer Bank im Park und grübelte über diesen uralten Rätseln, bis ihn die Kälte wieder auf die Füße zwang; dann ging er heimwärts, so schwermütig und verwirrt, wie er losgezogen war.
    Laura Lou war bestimmt schon lange vor ihm heimgekommen. Sie würde zu Hause warten, ihm vielleicht übel nehmen, dass er in der Galerie nicht bei ihr geblieben war. Er schritt ungeduldig aus, versuchte, den geheimen Quell seiner Freude aus seinem Kopf zu verbannen: den Gedanken an den ruhigen Abend mit Mrs Tarrant und seinem Buch … Seit er sie an jenem Abend vor mehr als einem Monat angerufen hatte, war er gefährlich oft mit ihr zusammen gewesen, hatte sie bei Essenseinladungen und zwanglosen Atelierfesten getroffen, war ein paarmal mit ihr ins Theater oder in ein Symphoniekonzert gegangen. Fast jeden Tag mit ihr zusammen zu sein, alle künstlerischen und intellektuellen Freuden mit ihr zu teilen, mit jeder neuen Erfahrung, jeder Frage, jeder Kuriosität zu ihr zu kommen war ihm zum unwiderstehlichen Bedürfnis geworden. Sie hatte ihn auf die freimütigfreundschaftliche Ebene verwiesen und hielt ihn geschickt dort fest. Aber sie hatten noch keinen zweiten langen Abend allein im Lampenschein verbracht, und jetzt spürte er, dass er ihr sein Herz ausschütten musste, um Frieden zu finden.

    Laura Lou kauerte ganz nah am Heizkörper, der hier, in Mrs Hubbards zweitem Stock, nur wenig Wärme abgab. Sie hatte Hut und Mantel aufs Bett geworfen und sich mit zusammengezogenen Schultern in die Bettdecke gewickelt.
    « Wo zum Teufel bist du bloß hingelaufen?», sagte Vance mit falscher Munterkeit.«Ich hab dich überall gesucht.»
    Sie machte ein Gesicht, in dem Triumph mit Unmut kämpfte. Er merkte, dass sie aus irgendeinem Grund ärgerlich auf ihn war, aus einem anderen jedoch höchst zufrieden.«Ach, ich hatte es satt, da bei diesen fremden Leuten zu bleiben, außerdem hab ich’s einfach nicht mehr ausgehalten, dieses abscheuliche Ding anzugucken.»
    « Was für ein abscheuliches Ding?»
    « Diese grässliche Büste. Wieso hast du ihnen erlaubt, so was auszustellen? Mir ist ganz schlecht geworden davon.»
    « Hat sie dir nicht gefallen? Sie wurde allgemein bewundert», murmelte er, ungehalten über ihren Ton.
    « Ach Vanny, merkst du nicht, dass sie sich bloß über dich lustig machen, wenn sie so was sagen?»
    « Wer sind ‹sie›?»
    « Na ja, deine vornehmen Freunde. Zum Beispiel diese Mrs Pulsifer. Und nicht mal die war überzeugt. Sie hat gesagt: ‹Meinen Sie, wir müssen das gut finden, Mrs Weston?› Und wie ich gesagt hab: ‹Ich hab noch nie so was Grässliches gesehen›, war sie irgendwie erleichtert. O Vanny», fuhr sie fort, und ihr Gesicht hellte sich auf,«ich finde, du solltest sie öfter besuchen. Sie sagt, sie hat als Erste dein Talent erkannt und will dir so gern helfen, aber sie kriegt dich nie mehr zu sehen, weil du nur mit diesen Tarrants zusammensteckst.»
    Sein Herz tat einen Sprung.«Unsinn – diese dumme Kuh! Das ist der größte Blödsinn …»
    « Es ist kein Blödsinn, wenn man sagt, dass du immer mit den Tarrants zusammen bist … Du hast sie in der Galerie nicht aus den Augen

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