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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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die Armen sollten unter ihresgleichen bleiben.
    « Beiseitelegen?», wiederholte er mit einem Lachen.«Tja, wenn das so einfach ginge. Ihr Mann hat mir meine monatliche Kolumne erlassen, damit ich all meine Zeit auf den Roman verwenden kann; und jetzt geben Sie mir den Rat, den Roman beiseitezulegen! Ich muss ihn vielmehr so rasch wie möglich fertigstellen und kann nur hoffen, dass er Erfolg hat. Ich bin dazu verdammt, um Brot zu schreiben – falls ich jemals den Dreh rauskriege!»
    Sie wurde ein wenig blass. Er merkte, dass seine Worte sie verletzt hatten, und freute sich. Sie sah ihn immer noch ernst und aus zusammengekniffenen, nachdenklichen Augen an.
    « Sie werden ihn nie rauskriegen, da ist mir nicht bang.»
    Er lachte wieder – sie war wohl übergeschnappt!«Na ja, ich bin nicht hergekommen, um mit Ihnen über Geschäftliches zu reden», sagte er gereizt.«Ich wollte Ihre Meinung hören, und die habe ich gehört. Und da sie mit meiner eigenen genau übereinstimmt, würde ich das Buch ins Feuer werfen, wenn ich könnte.»
    Sie nahm dies schweigend zur Kenntnis und saß regungslos da, wie immer, wenn sie überlegte.«Vance», sagte sie dann unvermittelt,« als Sie mir diese Kapitel gebracht haben, haben Sie nicht so empfunden. Vor einer Stunde haben Sie noch daran geglaubt. Sie dürfen nicht zulassen, dass meine zufälligen Anregungen Sie dermaßen beeinflussen; kein Künstler sollte so viel darauf geben, was die Leute sagen.»
    Er sprang auf, und die Blätter auf seinen Knien flatterten zu Boden.«‹Darauf geben, was die Leute sagen›? Ich gebe keinen Pfifferling darauf, was die Leute sagen … nur darauf, was Sie sagen», brach es plötzlich aus ihm heraus.
    Ein Lichtblitz zuckte über ihr Gesicht. Das war ihre Art zu erröten, dieses leuchtende Glühen über ihrer Blässe.«Aber das ist noch unvernünftiger …», begann sie.
    « Mein Gott, was hat das mit Vernunft zu tun? Sie sind für mich seit Monaten die Luft zum Leben. Wenn man einem Menschen den Sauerstoff nimmt, klappt er zusammen … Kommen Sie mir nicht damit, dass ich nichts auf das geben soll, was Sie sagen! Dann bliebe mir nichts mehr übrig.»
    Der schweigende dunkle Raum schien seine Worte aufzunehmen und zurückzuwerfen, so wie der Schatten die flackernde Glut des Feuers auffing und verstärkte. Vance lehnte sich an den Kaminsims und starrte mit blinden Augen auf die verstreuten Manuskriptseiten. Eine Weile – eine lange Weile, so schien ihm – bewegte sich Mrs Tarrant nicht und blickte auch nicht auf.
    « Es bliebe Ihnen Ihr Genie», sagte sie, immer noch regungslos in ihrer Ecke.
    Er lachte.«Manchmal denke ich, mein Genie ist ein Phantom, das wir beide uns zusammengebastelt haben. Wenn ich nicht bei Ihnen bin, glaube ich nicht daran – ich glaube an gar nichts, wenn ich nicht bei Ihnen bin.»
    « O Vance, sagen Sie nicht so etwas – das ist Blasphemie!»
    « Blasphemie! Es wäre Blasphemie, zu sagen, dass Sie mir nicht alles auf Erden bedeuten!»
    Immer noch bewegte sie sich nicht, und ihre Reglosigkeit hielt ihn an den Kamin gebannt.«Für jemanden alles zu sein ist zu viel», hörte er sie murmeln, und gleich darauf:«Ich wollte Ihnen doch nur bei Ihren Büchern helfen …»
    « Meine Bücher? Meine Bücher?»Er trat ein, zwei Schritte auf sie zu und blieb wieder stehen, aufgehalten von ihrer Reglosigkeit.« Was glauben Sie, woraus Bücher gemacht sind», rief er,«aus Papier und Tinte oder aus dem Innersten eines Menschen, aus seinem lebendigen Gehirn? Sie sind in meinen Büchern, Sie sind Teil davon, ob Sie es wollen oder nicht, ob Sie an sie glauben oder sie verachten, ob Sie an mich glauben oder mich verachten, und Sie sind in mir, in Leib und Blut, genauso wie in meinen Büchern, genauso schicksalhaft. So ist es nun einmal, Sie können nicht mehr fort, Sie können nicht ungeschehen machen, was Sie getan haben. Sie sind die Gedanken, die ich denke, die Bilder, die ich sehe, die Luft, die ich atme, und die Speisen, die ich esse – und alles, alles auf Erden und darüber …»
    Er brach ab, erschrocken über seinen Ausbruch. Er, der normalerweise keinen Ton herausbrachte, der nur mit der Feder beredt war – welche Macht hatte ihm diesen Wortschwall entlockt? Sein ganzes Wesen war wie in einem Feuer geschmolzen, hatte all sein Können gesteigert und verquickt und ihm die Zunge gelöst. Und es war alles so, wie er gesagt hatte. Er, seine Kunst und diese Frau waren eins, unlösbar eins in leidenschaftlichem gegenseitigem

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