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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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schließt Freundschaft mit ein.»Sie sprach sehr leise, als müsse sie etwas sehr Schwieriges sagen, ließ ihn aber nicht aus den Augen.«Es schließt alles ein», sagte sie.
    « Gut – und was heißt das?»
    « Dass wir auswählen müssen – nehmen, was wir dürfen, und alles andere sein lassen.»
    « Niemals, niemals! Das kann ich nicht.»Er blickte sie fast finster an.«Kannst du es?», fragte er herausfordernd.
    « Ja», antwortete sie entschlossen.
    « Ach – dann liegt dir nichts daran!»
    « Wie du meinst. Zumindest lag mir viel an unserer Freundschaft …»
    « Freundschaft! Freundschaft! Wenn das bedeutet, dich ab und zu für ein paar Minuten zu sehen und so wie jetzt mit dir zu reden, das halbe Zimmer zwischen uns, wo ich doch alles von dir will – all deine Zeit, all deine Gedanken, dich ganz –, dann pfeife ich auf deine Freundschaft!»
    Sie sagte nichts, und seine Worte prallten an der tauben Wand ihres Schweigens ab. Er pfiff auf ihre Freundschaft … hatte er das gesagt? Wo doch ihre Freundschaft sein ganzes Leben war, alles, was er atmete, alles, was er sah … Und dennoch wollte er diese Freundschaft nicht mehr, oder vielmehr: Sie existierte nicht mehr für ihn. Von nun an musste Halo entweder Welten von ihm entfernt sein oder in seinen Armen liegen.
    « Du verstehst nicht – ich will dich küssen», stammelte er, und Verzweiflung lag in seinem Blick.
    « Deshalb sage ich, wir können nicht weitermachen.»
    « Können nicht – warum?»
    Sie zögerte, und er sah, dass ihre Hand auf der Rückenlehne des Sessels ein wenig zitterte.
    « Weil du nicht willst», stieß er hervor.
    « Weil ich mir keinen Geliebten nehmen will, solange ich einen Mann habe – oder weil mein Geliebter eine Frau hat», sagte sie hastig.
    Vance stand reglos da. Sekunden zuvor hatte er sie in Gedanken noch mit tausend Zärtlichkeiten umhüllt, die Seelen umklammerten einander, wie sich gleich ihre Körper umschlingen würden, der Raum zwischen ihnen war in der erträumten Verschmelzung von Blick und Berührung verschwunden. Es hatte keine andere Welt gegeben als dieses stille Zimmer und darin keine anderen Menschenwesen als sie beide. Und nun drängte sich jählings die andere, übervolle, fratzenhafte Welt herein; zwischen ihnen standen Laura Lou und das schäbige Pensionszimmer, die Geldverleiher und das unfertige Buch, Mrs Hubbard und die Wäschereirechnungen und die Schulden, die Laura Lou immer beim Drogisten auflaufen ließ.
    « Und weil ich meinen Mann nicht verlassen kann, so wenig wie du deine Frau …»
    Er war sich nicht sicher, ob Halo den Satz vollendet hatte oder ob dies das Echo seiner eigenen Gedanken war. Laura Lou verlassen? Nein, natürlich konnte er das nicht. Was für ein Unsinn! Es gab sonst niemanden, der sich um sie kümmerte. Er hatte es so gewollt, und nun war es so. Seine Welt hatte sich wieder um ihn geschlossen, er war mit Handschellen und Ketten an sie gefesselt. Er fühlte sich wie ein Mann, der nach einem Eisenbahnunglück plötzlich das Bewusstsein wiedererlangt und merkt, dass er von einem schweren Gewicht zu Boden gedrückt wird. Langsam, aber unaufhaltsam strömte die Wirklichkeit in ihn zurück, und ihm war übel vor Qual.
    Von weither hörte er sie sagen:«Das muss ja nicht das Ende sein, Vance. Eines Tages …?
    (O ja – eines Tages!)
    « Ich habe dir doch helfen können, nicht wahr? Und ich möchte dir so gern weiterhin helfen …»
    (Woraus waren Frauen eigentlich gemacht?, fragte er sich.)
    « Versprichst du mir das?»
    (Oh, er wollte alles versprechen, wenn nur eine Rettungsmannschaft käme und dieses Gewicht von seiner Brust wuchtete. Sah sie denn nicht, wie er litt?)
    « Ja, ich verspreche es.»(Immer und ewig muss man Frauen etwas versprechen … Noch wenn man verblutet, nehmen sie einem Versprechen ab …)
    « Also, auf Wiedersehen.»
    « Auf Wiedersehen, Vance.»
    Er wandte sich zum Gehen, da hörte er hinter sich einen leisen Ruf. Als er sich, schon an der Tür, umblickte, sah er, dass sie gebückt die Manuskriptseiten aufsammelte, die er über den Boden verstreut hatte.
    Er ging zurück, stotterte:«Halt … bemüh dich nicht … das mache ich schon …», und kniete sich neben sie. Es schienen unzählige Blätter, sie waren nach allen Seiten geflattert, er musste nach rechts und links greifen, um sie einzusammeln. Eins war sogar über das Kamingitter auf die Feuerstelle gesegelt. Dennoch waren sie in Sekundenschnelle eingesammelt. In dieser fiebrigen Welt gab es kein

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