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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Die Tatsache, dass Sie für uns nichts mehr schreiben, erlaubt Ihnen nämlich nicht, für andere zu schreiben, bevor die vier Jahre um sind.»
    Vance’ Blick hatte nun etwas von der eisigen Verachtung des anderen angenommen. Sein Zorn war verflogen, er fühlte sich nur unermesslich angewidert.
    « Sie halten also auch dann an mir fest», sagte er,«wenn ich nichts mehr für Sie schreibe?»
    « Sie lassen mir leider keine andere Wahl», antwortete Tarrant kühl. Er drückte auf die Klingel an seinem Schreibtisch und sagte zu dem Bürogehilfen:«Kehren Sie bitte diese Papiere zusammen. »

    Auf der Straße atmete Vance tief durch. Er wusste nicht, was jetzt geschehen würde, vermochte keinen Millimeter in die Zukunft zu blicken. Doch als er die ersten Kapitel von«Zaster»zerstört hatte, war ihm gewesen, als reiße er sich die Klauen eines Inkubus aus dem Leib. Er hatte nicht geahnt, dass ihm dieses Buch so verhasst war – oder hasste er nur Tarrant in ihm? Er lief weiter, erregt, trotzig. Er fühlte sich wie ein Ballonfahrer, der allen Ballast abgeworfen hat: Unendlich leicht und ohne jede Verantwortung strebte er hinauf in den Zenit …
    Als er in seine Straße einbog, stieß er auf einen Hausierer, der auf sein Pferd einschlug. Pferde waren in den Straßen New Yorks heutzutage selten, Hausierer fast ausgestorben, doch in diesem vergessenen Viertel bekam man beides noch manchmal zu Gesicht. Vance blieb stehen und betrachtete die Fuhre und das Pferd. Es war keine allzu schwere Last, und der Gaul war zwar mager, aber nicht schwach. Er wehrte sich nicht gegen eine Überbelastung, sondern scheute nur und stemmte seine armseligen Beine hartnäckig gegen den Asphalt. Irgendwo störte oder peinigte ihn etwas, und der Kutscher erkannte es nicht. Das Tier bleckte die Zähne und rollte mit den Augen wie die Pferde auf Schlachtengemälden. Und der menschliche Idiot stand da und prügelte begriffsstutzig drauflos … Vance’ Wut loderte wieder auf.«He, du verdammter Blödmann, lass das Pferd in Ruhe, verstanden?»
    Der Mann, erst verwundert, dann wütend, fluchte wortreich auf Italienisch zurück und schlug wieder auf das Pferd ein.« Aha, so einer bist du also?», schrie Vance. Er packte den Mann am Arm, dachte an seinen Dante, rief fröhlich: «Lasciate ogni speranza! » 97 und fiel über ihn her. Es war eine kurze Rauferei. Er entwand dem Hausierer die Peitsche und boxte ihn ins Gesicht, doch als die Passanten stehen blieben und in der Ferne ein Polizist auftauchte, wurde ihm plötzlich bewusst, dass er eigentlich auf Tarrant eindrosch, und schamrot schoss er die Straße hinunter in den Schutz von Mrs Hubbards Tür.

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    Es zählte zu Tarrants Stärken, dass er einen heftigen Wortwechsel unerschütterlich durchzustehen vermochte, wenn sein Erfolg von seiner Gelassenheit abhing; aber es war eine seiner Schwächen, dass er hinterher zusammenbrach und seine überbeanspruchte Selbstbeherrschung in weibisches Zittern, feuchte Hände und gereizte Nerven mündete.
    Als er an diesem Abend zu Hause auftauchte, wusste seine Frau sofort, dass er mit einer solchen Nachwirkung kämpfte. Wieder einmal war in der Redaktion etwas schiefgelaufen. In letzter Zeit hatte er sich angewöhnt, bei derartigen Anlässen Trost bei Mrs Pulsifer zu suchen. Halo wusste dies und war leicht amüsiert. Sie wusste auch, dass er das Interesse an der«Neuen Stunde»verlor, weil die Zeitschrift nicht so erfolgreich war wie erhofft, und dass er angefangen hatte, einen Roman zu schreiben – wahrscheinlich von Mrs Pulsifer inspiriert. Zu dem bereits etablierten Pulsifer-Preis für die beste Kurzgeschichte sollte sich nun noch ein wichtiger für Erstlingsromane gesellen, und es war typisch Tarrant, für den Geld nichts, öffentliche Aufmerksamkeit aber alles bedeutete, dass er sich darum bewerben wollte. Seine rastlose Eitelkeit fand niemals genügend Weidefläche, und als die Jahre vergingen, ohne dass der Name Lewis Tarrant auf zwei Kontinenten zu einem geläufigen Begriff geworden war oder zumindest im englischen«Who’s Who» 98 auftauchte, merkte seine Frau, dass seine Gier nach Lob immer ungezügelter wurde.
    All dies erkannte Halo mit dem hellwachen Zweiten Gesicht der erfahrenen Ehefrau. Solange sie ihren Mann noch mochte, hatte sie ihn unvollständig und undeutlich gesehen, aber unter den Röntgenstrahlen ihrer abgeklärten Gleichgültigkeit waren jeder Muskel und jedes Gelenk sichtbar geworden. Manchmal erschreckte es sie fast, wie genau sie seine

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