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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Folter … aber er kann es nicht.»
    « Na, wir werden sehen.»
    « Willst du damit sagen, er hat dir versprochen, es zu versuchen? »
    « Um Himmels willen, nein. Im Gegenteil. Er sagte, er werde nie mehr eine Zeile für uns schreiben … Aber natürlich wird er schreiben, er muss ja. Er gehört noch zwei Jahre der Zeitschrift, wie ich ihm in Erinnerung gerufen habe.»
    Halo überlegte. Schließlich sagte sie etwas ruhiger:«Du kannst ihn nicht zum Schreiben zwingen, wenn er nicht will.»
    « Ich kann ihm einen Prozess androhen.»
    « O Lewis!»
    « Na und? Da hat einer etwas Schönes zerstört, etwas unschätzbar Schönes. Du behauptest, Künstler könnten nicht zweimal das Gleiche schaffen. Gut, das macht die Sache einzigartig. Und dieses Einzigartige, das er vernichtet hat, gehörte mir – gehörte der ‹Neuen Stunde› und Dreck und Saltzer. Wie ich ihm gesagt habe, war es bereits teilweise bezahlt – und jetzt frage ich dich, wie will er uns dafür entschädigen? Daran hat der junge Hohlkopf nicht gedacht.»
    Halo schämte sich plötzlich ihrer ohnmächtigen Wut. Sie hätte Vance keinen schlechteren Dienst erweisen können, als ihrem Mann seinen Schnitzer immer wieder vor Augen zu führen. Um einen Wutausbruch auszukosten, der ebenso sinnlos war wie der von Tarrant, hatte sie das bisschen Hoffnung, ihn zu einer wohlwollenderen Sicht der Dinge zu bewegen, aufs Spiel gesetzt. Aber es war ihr fast unmöglich, gewandt und geduldig zu sein, wenn es um etwas ging, was ihr am Herzen lag. Dann waren Großzügigkeit und Offenheit ihre einzigen Waffen, und die waren etwa so nützlich wie Pfeil und Bogen gegen ein Maschinengewehr. Schließlich sagte sie:«Ich verstehe, wenn Dreck und Saltzer diesen Standpunkt vertreten, geschäftlich gesehen ist das wohl richtig. Aber bei dir ist es doch etwas anderes, oder? Künstler unter sich sollten das Thema aus demselben Blickwinkel betrachten. Vance ist bettelarm, seine Frau ist krank, in mancher Hinsicht war seine Mitarbeit für die Zeitschrift nicht besonders ergiebig, und wenn die ‹Neue Stunde› es sich nicht leisten kann, sein Gehalt zu erhöhen, sollte man meinen, du müsstest froh sein, wenn du ihn aus dem Vertrag entlassen und auch Dreck und Saltzer dazu bewegen kannst. Was kann es euch schaden? Und auf jeden Fall hättest du ihm die Chance gegeben, sein Glück woanders zu versuchen … Er mag bei seinem Gespräch mit dir dumm gewesen sein, sogar ungehobelt – er besitzt kein Taktgefühl, keine Klugheit in dieser Richtung –, aber du, der du all die gesellschaftliche Erfahrung hast, die ihm fehlt, solltest großzügig sein. Du kannst es dir leisten.»
    Ihr Mund war so trocken, dass sie aufhören musste. So weiterzureden war wie Sägemehlkauen. Und als sie innehielt, erfasste sie blitzschnell, wie sehr sie sich verrechnet hatte. Es ist zu simpel, anzunehmen, eitle Menschen seien immer dumm – und diesen Fehler hatte sie gemacht. Sie hätte wissen müssen, dass ihr Mann zwar eitel war, aber nicht dumm, oder zumindest nicht immer, und dass Schmeichelei zur falschen Zeit nicht einmal die Menschen täuscht, die sich am meisten danach verzehren. Tarrant stand auf und blickte mit einem leicht ironischen Lächeln auf sie herab.
    « In Wirklichkeit denkst du, dass ich ein Dummkopf bin», sagte er,«aber so ein Riesendummkopf bin ich denn doch nicht. In diesem Punkt lasse ich deinem jungen Freund den Vortritt. Außerdem», fügte er hinzu,«sollte mir klar sein, dass du noch nie etwas von Geschäften verstanden hast. Das war die einzige Begabung, die dir die Feen an der Wiege vorenthalten haben. Verbindlichsten Dank für deinen Rat, aber in solchen Fragen musst du es mir überlassen, wie ich mit unseren Mitarbeitern verhandle …»

SIEBTER TEIL

41
    Rasen und Bäume von The Willows waren in ein harmonisches Sommerlicht getaucht, und Halo Tarrant verstand besser denn je, warum das Haus einen solchen Zauber auf Vance Weston ausgeübt hatte.
    Sie war hergekommen, um nach dem Rechten zu sehen, zum ersten Mal seit Monaten. Die derzeitige Besitzerin, die alte, gebrechliche Miss Lorburn, saß in ihrem Haus am Stuyvesant Square und ärgerte sich, dass sie nicht in der Lage war, selbst ein Auge auf The Willows zu haben; sie sagte immer, wie schade es doch sei, dass der arme Tom es nicht der armen Halo vermacht habe, sondern ihr. Miss Lorburns Welt war bevölkert von Freunden und Verwandten, die ihr mit dem Beiwort«arm»am treffendsten beschrieben schienen, denn aus dem einen oder

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