Ein altes Haus am Hudson River
war äußerst großzügig gewesen – sollte sie sich von ihm ausstechen lassen? Wenn sie eines Tages The Willows und ein wenig von Vetter Toms Geld erbte, wäre sie vielleicht in der Lage, es ihm zurückzuzahlen und ganz von vorn anzufangen. Aber was konnte sie bis dahin anderes machen, als ihn heiraten? Und bei dem Gedanken an seine Großzügigkeit begann sie vor Rührung zu glühen und diese Rührung als Liebe zu missdeuten. Auf dieser Woge von Selbsttäuschung wurde sie – nach der Nachricht, dass Vetter Tom sie enterbt hatte – in das brackige Altwasser ihrer Ehe geschwemmt …
Sie hatte Vance seit der Vernichtung des Manuskripts nicht mehr gesehen. Nach einer schlaflosen Nacht – einer Nacht des nackten Elends und der verrückten, unrealistischen Pläne – hatte sie ihm ein Telegramm geschickt:
« BIST DU WAHNSINNIG GEWORDEN? GIBT ES WIRKLICH KEINE ABSCHRIFT? KOMM HEUTE ABEND NACH NEUN. ICH MUSS DICH SEHEN.»
Der Tag schleppte sich hin. Tarrant ging in die Redaktion, ohne dass sie ihn noch einmal gesehen hatte. Sie hatte ihm nichts mehr zu sagen und fürchtete, einen weiteren Schnitzer zu begehen, falls das Thema Vance aufkäme. Wenn sie ihrem Mann nicht so töricht vorgeworfen hätte, ein Meisterwerk zu zerstören, hätte er Vance vielleicht sogar liebend gern aus dem Vertrag entlassen – aber nun wusste sie, er würde sein Pfund Fleisch fordern.«In welcher Form?», fragte sie sich. Sie war sich nicht klar über die rechtliche Seite der Sache, aber Tarrant würde auf jeden Fall vorsichtig vorgehen und sich seiner Ansprüche im Voraus vergewissern. Die leeren Stunden krochen dahin. Ihr Mann würde bei Mrs Pulsifer speisen – ein großer Empfang für einen ausländischen Kritiker, der angereist war, um eine Ehrendoktorwürde entgegenzunehmen. Ein ungestörter Abend mit Vance war ihr sicher. Die Stunden verstrichen, es wurde dunkel, doch Vance kam nicht und ließ auch nichts von sich hören. Sie saß da und wartete bis nach Mitternacht auf ihn, dann hörte sie ihren Mann den Hausschlüssel im Schloss drehen und lief in ihr Zimmer, um ihm nicht zu begegnen. Als sie sich beim Ausziehen im Spiegel sah, erblickte sie ein verhärmtes Gesicht und verheulte, geschwollene Augen. Sie hatte geweint, ohne es zu merken, während sie allein dagesessen und gewartet hatte.
Auch am nächsten und übernächsten Tag ließ Vance nichts von sich hören; erst am dritten kam ein kurzer Brief.
« Ich gehe fort aus New York. Meine Frau ist krank, und wir ziehen aufs Land. Neulich abends konnte ich nicht kommen. Es gibt keine Zweitschrift; aber Dir lag ohnehin nie viel daran, und ich glaube, ich kann Besseres zustande bringen.
Vance.»
Keine Spur von Zärtlichkeit oder Bedauern. Doch die Sätze klangen so verzweifelt und abgehackt wie das, was er an jenem Abend in der Bibliothek hervorgestoßen hatte. An Unabänderliches hatte er noch nie viele Worte verschwendet. Und was ihn und sie betraf, so begriff sie nun, war dieser Fall unabänderlich. Wie hatte sie ihn nur bitten können, noch einmal zu ihr zu kommen? Der Bruch mit ihrem Mann machte das unmöglich. Und nun ging er fort aus New York und sagte ihr nicht einmal wohin. Es war alles sinnlos, hoffnungslos. Was immer sie ihm hätte sein und für ihn hätte tun können – die Zeit war vorbei, die Gelegenheit verpasst …
Sie wartete ein paar Tage, dann bat sie Frenside zu sich und erzählte ihm die Geschichte, soweit sie ihren Anteil an Vance’ Arbeit und die intellektuelle Seite ihrer Freundschaft betraf. Als sie zur Vernichtung des Manuskripts und zur Reaktion ihres Mannes kam, gab Frenside, der über seiner Pfeife nachdenklich zugehört hatte, ein kurzes Lachen von sich.
« Das hast du ja ordentlich verkorkst, meine Liebe!»
Sie war zu gedemütigt, um zu protestieren.«Aber was kann ich tun?», fragte sie nur und war nicht überrascht von seiner prompten Antwort:«Nichts!»
« O Frenny, aber ich muss …»
Mit einem Achselzucken tat er ihren Widerspruch ab.«Es ist gar nicht so schlecht», fuhr er fort,«wenn ein junger Romancier, den ein erster Erfolg unter Druck setzt, ein oder zwei Manuskripte zerreißt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie nicht besonders gut waren, nur ein Abklatsch des ersten Buches. Er macht es richtig, wenn er aufs Land zieht und in einer neuen Umgebung eine neue Arbeit in Angriff nimmt – auch ohne deine Ratschläge.»
Sie zuckte zusammen, doch Frensides Sarkasmus war immer heilsam.«Er kann es sich nur nicht leisten zu warten»,
Weitere Kostenlose Bücher