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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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Augenblick lang stand er schwankend da und fand keine Worte, dann sprach sie wieder mit dieser atemlosen, quäkenden Stimme.« Geh lieber und such jemanden, der ihn repariert …»
    « Um Himmels willen, erst will ich sehen, ob ich das nicht selbst machen kann», brummte er in Gedanken an die Kosten der letzten Herdreparatur.
    « Nein, nein, das kannst du nicht. Geh lieber und iss heute auswärts», fügte sie hinzu.
    « Und was isst du dann?»
    Wieder grinste sie und entblößte unnatürlich viel von ihrem blassrosa Zahnfleisch.«Ach, ich trinke ein bisschen Milch. Iss lieber auswärts. Dann leg ich mich hin», wiederholte sie atemlos.
    Unsicher stand er da; tief in ihm pochte sein Buch. Die herrliche blaue Luft war so einladend – wahrscheinlich war Laura Lou froh, wenn sie sich ausruhen konnte. Er bemerkte die roten Ringe um ihre Augen und dachte wieder:«Schon möglich, dass es das ist.»Ihm fiel ein, wie Frauen in Romanen errötend ihre bevorstehende Mutterschaft verkündeten. Doch Laura Lou schien nichts verkünden zu wollen, und er war zu schüchtern, um sie zum Reden zu nötigen.«Willst mich heute wohl los sein», witzelte er, und sie gab ihm mit einem Nicken und ihrem seltsamen, starren Lächeln recht.
    Er kramte im Schrank nach Brot und einem Stück Käse vom gestrigen Abendessen, dazu einen Apfel von dem Zauberbaum, mehr brauchte er nicht. Er wollte eine lange Wanderung in einen wunderbaren, morastigen Wald machen, der schon bei den ersten Herbstfrösten Feuer fing. Das Gefühl von Ferien und Freiheit loderte in ihm auf.«Gut, bis bald», rief er und nickte von der Tür aus zurück. Ihr starres Lächeln antwortete ihm.«Sie sieht krank aus», dachte er – und dann vergaß er sie.

    « Zauber» – so könnte er das Buch doch nennen? Heute war die Luft voll davon. All die Poesie, von der das amerikanische Denken nichts wissen will, schien in der amerikanischen Landschaft Zuflucht gesucht zu haben, wie eine Daphne, die vor Apollo nicht flieht, sondern auf seinen Ruf wartet, um wieder in ihre liebliche menschliche Gestalt zu schlüpfen. Vance spürte das stumme Flehen dieser zitternden Schönheit, die die Arme nach der Wärme und dem Licht des sich neigenden Jahres ausstreckte. Dieses Gefühl wurde übermächtig, und ihm war, als flösse das Blut der Erde in seinen Adern und als glühte das seine in den roten Ahornzweigen und den goldenen Strähnen der Waldreben. Alles war Teil jenes geheimnisvollen Gewebes des Universums – in diesen Gedanken konnte man sich hineinlegen wie in ein Bett …
    Er wanderte immer weiter, murmelte Gedichtfetzen oder sinnlosen, selbst erfundenen Singsang und fühlte sich so glücklich, als sei er nun Teil der göttlichen Verschwörung und kenne die Lösung für alle Unstimmigkeiten. Alles war so wunderbar und geheimnisvoll wie eine Geburt … Dieses Wort brachte ihn wieder auf Laura Lou. Wie seltsam, wenn sie ein Kind bekäme! Er versuchte sich vorzustellen, wie das Leben abliefe, wenn er zwei Menschen zu ernähren, zu versorgen und zu kleiden hätte – oh, immer diese verfluchten Hürden! Er wusste nicht einmal, wie Laura Lou und er alleine den Winter überstehen sollten. Wenn sie ein Kind bekam, mussten sie wohl klein beigeben und die Gastfreundschaft seines Vaters in Anspruch nehmen. Aber darüber wollte er gar nicht nachdenken. So wie es jetzt war, war es gut. Das Häuschen im Obstgarten war für ihn genau der richtige Ort zum Träumen und Arbeiten, und Laura Lou war glücklich, war zum ersten Mal seit der Hochzeit sie selbst. Ihre hauswirtschaftlichen Kenntnisse waren zwar mangelhaft, sie war unachtsam, leichtsinnig und manchmal, nein oft, zu müde, um zu beenden, was sie begonnen hatte. Doch jetzt, wo sie ihren Mann und ihr Haus für sich hatte, machte sie alle Schwächen wett durch nimmermüde gute Laune und einen Eifer, der ihre Kräfte überstieg. In New York hatte sie stundenlang wortlos und reglos neben dem kalten Heizkörper gesessen, zu apathisch, um aufzuräumen, die Kleider waren ungeflickt, Regale und Schubladen unaufgeräumt geblieben. Jetzt fuhrwerkte sie ständig herum und wischte, flickte und wusch. Sie begann sogar die Zimmer zu verschönern, beschwatzte Vance, bis er bestickte Überzüge für die Kopfkissen kaufte, und überraschte ihn eines Tages mit einem Strauß Wiesenblumen auf dem Esstisch.«Ich glaube, so war der Tisch gedeckt, als wir bei den Tarrants zum Lunch waren», sagte sie mit einem erinnerungsseligen Lächeln, und Vance lachte und

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