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Ein altes Haus am Hudson River

Ein altes Haus am Hudson River

Titel: Ein altes Haus am Hudson River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Wharton
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mit dreitausend Plätzen von Maine bis Kalifornien, wie eine Zeitung schrieb. Das Prinzip war schauderhaft, die Ergebnisse erbärmlich … Aber seine Großmutter brauchte das Geld, und ihr Publikum brauchte diese besondere Mischung hausgemachter Religiosität, die sie zu brauen verstand.«Auch nicht besser als Schmuggeln», knurrte Vance und warf die Zeitungen auf den Boden. Es handelte sich sehr wohl um arglistige Täuschung, nur nahm sie ihren Anfang auf einer ganz anderen Ebene: Das landestypische Tolerieren der Unwissenheit war reiner Schwindel, ebenso die betörende Rührseligkeit, die Jagd nach raschen Erfolgen und das Prinzip des schnellen Geldes, wenn es auf Geistiges angewandt wurde … Und die alte Frau, die er mit der hartnäckigen Anhänglichkeit eines Kindes liebte, befand sich auf Augenhöhe mit den von ihr Betrogenen.
    Er beantwortete den Brief nicht, und seine Großmutter schrieb nicht wieder.

    Vance dachte, er hätte alle«Storecraft»-Unterlagen in den Ofen geschoben, doch eines Tages kam er heim und sah, wie Laura Lou einen der Werbezettel vor sich auf dem Küchentisch glatt strich. Sie blickte mit einem Lächeln auf.«O Vanny, warum hast du mir das nicht gezeigt? Hat dir das deine Großmutter geschickt? »
    Mit einem Achselzucken bejahte er, und sie starrte auf die Wurfsendung.«Wahrscheinlich hat das Bunty selbst geschrieben – meinst du nicht auch?»
    Vance war an diesem Tag mit seiner Arbeit nicht gut vorangekommen, und er lachte gereizt.«Würde mich nicht wundern. Aber du kennst seinen Stil wahrscheinlich besser als ich.»
    Wie immer stieg ihr allzu rasch das Blut in die Wangen und wich schon wieder beim letzten Wort seiner Stichelei. Sie blickte ihn verdutzt an.«Es gefällt dir also nicht – findest du etwa, man nimmt deine Großmutter nicht ernst genug?»
    « Ach, du liebe Zeit! Viel zu ernst, das ist das Problem.»Er griff nach dem Flugblatt, und während er es langsam durchlas, versuchte er aus reiner Neugier, es aus Laura Lous Blickwinkel zu sehen, der zweifellos dem seiner Großmutter aufs Haar glich. Aber jedes Wort verursachte ihm Übelkeit, und weil sich die grotesken Sätze auf ein Wesen bezogen, das er liebte und bewunderte, ließ ihn auch sein Sinn für Ironie im Stich. Abschätzig warf er das Papier hin.«Mit solch einem Zeug könnte ich wahrscheinlich auch viel Geld verdienen …»
    Laura Lous Gesicht hellte sich auf.«Bestimmt, Vanny. Das habe ich mir immer gedacht. Bunty hat einmal gesagt, ein guter Reklameschreiber kann genauso viel verdienen wie ein Bestsellerautor. »
    Er lachte.«Schade, dass ich nicht diesen Berufszweig gewählt habe, oder? Da es ja nicht gerade so aussieht, als würde ich ein Bestsellerautor.»
    Sie witterte den Spott und zog sich in sich selbst zurück, wie immer, wenn er stichelte und ihr keine Antwort einfiel. Vance griff nach dem Blatt, riss es in Fetzen und schritt majestätisch zu seinem Schreibtisch. Diese Frauen …! Natürlich war er in letzter Zeit mit seiner Arbeit schlecht vorangekommen – wie sollte es auch anders ein, bei den ewigen Unterbrechungen und Sorgen? Ein Schriftsteller sollte frei und unbehindert oder zumindest finanziell unabhängig sein und eine Frau haben, die einen Haushalt führen kann, ohne dass er sich ständig einmischen muss. Er kannte da andere … Der Gedanke an diese anderen weckte in ihm ein plötzliches Verlangen nach Veränderung, Gespräch und Abwechslung, nach einem frischen neuen Blick auf die Welt, wie es der schöpferische Künstler nach langer, pausenloser Arbeit verspürt. Er wollte ins«Cocoanut Tree»und ins«Loafers’»und ein gutes Gespräch mit Frenside führen … Vor allem aber wollte er fort von Laura Lou und dieser Hütte …
    « Hör zu: Ich habe eine Verabredung in der Stadt. Wenn ich zur Hochbahn laufe, schaffe ich es noch bis ein Uhr», verkündete er unvermittelt, und bevor sie fragen oder protestieren konnte, war er in Hut und Mantel geschlüpft und lief über den Feldweg zur Schnellstraße.
    Er war seit Wochen nicht mehr in New York gewesen, und beim letzten Mal war er nur so lange geblieben, bis er Dreck und Saltzer zu einem kleinen Vorschuss auf seine Tantiemen überredet hatte. Als er sich heute in dem gewaltigen Tosen der Straßen wiederfand, spürte er, wie sein Herz den Takt dazu schlug. Er hatte nicht gewusst, wie sehr ihm die belebende Atmosphäre einer Menschenmenge gefehlt hatte. Er mied die«Neue Stunde», ging aber zum Lunch ins«Cocoanut Tree», wo er – für ihn verwirrend

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