Ein altes Haus am Hudson River
geheimnisvollen Blick merkwürdig eingeschüchtert.«Das nicht, Liebling?», wiederholte er.
Noch immer fuhr sie ihm mit der Hand durchs Haar.«Hättest du das nicht gern gehabt, Liebes?», fragte er.
« Vielleicht – ich bin nur zu müde.»Ihre Hand fiel wieder herab. Es war immer das alte Lied:«Ich bin zu müde.»Dabei hustete sie gar nicht mehr, sie aß mit Appetit, und die Arbeit schien sie in letzter Zeit weniger zu erschöpfen.
« Was macht dich so müde, was meinst du?»Aber er spürte, wie sinnlos diese Frage war.«Ich laufe in den Laden und rufe den Arzt an», sagte er energisch und klammerte sich an den Gedanken, damit etwas tun zu können.
Doch Laura Lou setzte sich im Bett auf und streckte die dünnen Arme nach ihm aus.«Nein, nein, nein – Vanny, nein!»
« Aber warum nicht, Liebling?»
« Weil ich nicht krank bin – weil ich nicht will, dass er kommt – weil es nichts zu sagen gibt …»Und bestimmt lag ihr auf der Zunge:«Weil wir ihn nicht bezahlen können.»
« Unsinn, Laura Lou. Du brauchst einen Arzt.»
« Und was würde der sagen? Er würde mir ein Stärkungsmittel verschreiben. Es geht mir gut, Vanny – ich stehe gleich auf und habe in einer halben Stunde das Frühstück gerichtet … Kannst du mir so lange Zeit lassen?», flehte sie schluchzend, und zerknirscht und bestürzt eilte er zurück an ihr Bett.«Aber Kindchen, nicht weinen …»
« Versprichst du’s?»
« Ich verspreche es …»
Er verließ sie, machte in der Küche Feuer und stellte die Kondensmilch und die Dose mit dem gemahlenen Kaffee auf den Tisch. Insgeheim sagte er sich:«Sobald sie auf ist, fahre ich nach New York und komme erst wieder heim, wenn ich genug Geld aufgetrieben habe, um die Hausgehilfin zurückzuholen und den Arzt zu bezahlen. Wahrscheinlich hat sie recht, es sind nur die Sorgen und die schwere Arbeit, die ihr zu schaffen machen.»Er klammerte sich an diese Deutung wie ein Schiffbrüchiger an ein Wrackstück.«Sie ist blutarm, das ist alles … Sie braucht gutes Essen und Ruhe und ein Stärkungsmittel.»Je öfter er sich das vorsagte, desto überzeugter war er selbst davon. Er spürte instinktiv, dass er ohne eine beruhigende Bestätigung mit seiner Arbeit nicht weiterkam, andererseits musste er mit seiner Arbeit weiterkommen, um sich diese Bestätigung kaufen zu können … Angesichts dieses Dilemmas erlosch in seinem Gehirn der letzte Funke inneren Lichts. Für ein paar Sekunden erschienen vor seinem geistigen Auge die langen Sommernachmittage in The Willows, das Summen der Bienen in den letzten Glyzinienblüten und Halo Tarrant, die schweigend ihm gegenüber an dem grünen, samtverhangenen Tisch saß und darauf wartete, dass er ihr die Seiten hinüberreichte … Aber er riss seine Gedanken von diesem Bild los. Als Laura Lou aufgestanden war, frühstückten sie zusammen, dann lief er zur Straßenbahn.
Bei«Storecraft»hieß es, der Geschäftsführer sei in seinem Büro, und Vance sauste im spiegelverkleideten Lift nach oben. Er war nicht mehr hier gewesen, seit er mit Laura Lou in der Ausstellung der«Gruppe Übermorgen»seine Büste besichtigt hatte. Aus seiner verzerrten Sicht auf sein Leben schien dies alles Jahre zurückzuliegen. Der Lift spuckte ihn auf der Chefetage aus, und er wurde in ein Büro geführt, in dem Bunty Hayes hinter einem riesigen Schreibtisch aus hochglanzpoliertem Edelholz thronte. Vance nahm im Vorübergehen die ultramoderne Einrichtung zur Kenntnis, das grelle, helle Licht und den metallischen Glanz, dann sah er nur noch Bunty Hayes, untersetzt und gewichtig, vor sich ein schimmerndes Telefon und eine Reihe elektrischer Klingelknöpfe.
« Ich möchte wissen, ob Sie Arbeit für mich haben», sagte Vance.
Bunty Hayes ließ seine kurzen Arme auf dem Schreibtisch ruhen. Seine gedrungene, behaarte Hand spielte mit einem Briefbeschwerer, und sein runder Mund formte den Eröffnungstakt zu einem unhörbaren Pfeifen.
« Na, so was … aber setzen Sie sich doch.»Er beugte sich vor und richtete seinen aufmerksamen Blick auf den Besucher.«Es ist so: Ich bin schon seit Längerem der Ansicht, wir sollten demnächst einen eigenen Verlag gründen – und sei es nur, um diesen verknöcherten Kerlen zu zeigen, was sich aus Literatur machen lässt. Aber ich bin noch nicht dazu gekommen. Sieht so aus, als hätte die Vorsehung Sie vorbeigeschickt, um mir Beine zu machen. Ich stell mir vor, dass wir mit einer Reihe von Übersetzungen der schmissigsten fremdsprachigen Romane beginnen,
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